Erneuter Rekord bei bedrohtem Kauz

Medienmitteilung von BirdLife Schweiz vom 17.8.2016

Schutzmassnahmen und günstige Witterung verhelfen dem bedrohten Steinkauz zu einer rasanten Bestandserholung

Aufgrund der Überbauung seiner Lebensräume und der Intensivierung der Landwirtschaft wäre der Steinkauz um die Jahrtausendwende in der Schweiz fast ausgestorben. Seither konnte eine langsame Bestandserholung bewirkt werden. Dieses Jahr vermelden BirdLife Schweiz und seine Partner eine rasante Zunahme auf rund 150 Reviere. Die Zunahme führen sie auf Schutzmassnahmen, welche sie in fünf Regionen der Schweiz gemeinsam mit engagierten Landwirten umsetzen, und auf den heissen Sommer 2015 zurück.

Zürich. Während es in den 1950er-Jahren in der Schweiz wohl noch über tausend Paare gab, war der Steinkauz anfangs des Jahrtausends in der Schweiz vom Aussterben bedroht: noch 50-60 Reviere umfasste der Bestand. Die Art überlebte in der Schweiz nur in den Kantonen Genf, Jura und Tessin.

Sorglose Raumplanung und intensive Landwirtschaft setzen dem Steinkauz zu

"Die Raumplanung hat in Bezug auf den Steinkauz versagt", so Raffael Ayé von BirdLife Schweiz. „Denn wichtige Lebensräume wie etwa Hochstamm-Obstgärten rund um die Dörfer wurden besonders oft überbaut.“ Die Ausbreitung des Siedlungsraums lief in der Schweiz zudem deutlich schneller als das Bevölkerungswachstum [1]. Dazu kam die Intensivierung der Landwirtschaft: viele Einzelbäume verschwanden, die Parzellen wurden immer grösser und die Wiesen und Weiden wurden stark gedüngt - zugunsten der Produktivität aber zuungunsten von Flora und Fauna. Wie verschiedene andere Arten der Landwirtschaftszone nahm der Steinkauz seit den 1960er-Jahren im Bestand stark ab.

Auch heute noch stellt die Raumplanung bzw. die Überbauung seiner Lebensräume eine ernsthafte Gefahr für den Steinkauz dar, obwohl gemäss Raumplanungsgesetz wertvolle Lebensräume erhalten werden müssen [2]. "Wir mussten deshalb auch schon mehrfach Einsprachen machen, damit Überbauungspläne die Bedürfnisse der Natur und des Steinkauzes berücksichtigen", erinnert sich Nadine Apolloni von der Vereinigung Chevêche-Ajoie (siehe Kasten).

Mit vereinten Kräften gegen das Aussterben

Seit mehreren Jahrzehnten engagieren sich regionale Gruppen und BirdLife Schweiz gemeinsam mit zahlreichen Partnern, um den Bestandsrückgang der Art zu stoppen. Sie lancierten und verstärkten Schutzprojekte für die Art. Die Pflanzung von Hochstammbäumen und Hecken, die Ansaat artenreicher Magerwiesen und die Montage von Steinkauz-Nistöhren gehören zu den wichtigsten Massnahmen. Der Rückgang der kleinen Eule konnte dadurch gestoppt werden: Bis 2014 nahm der Bestand in der Schweiz wieder auf 121 Reviere zu - also auf das Doppelte des tiefsten Bestands um die Jahrtausendwende. Heute brütet der Steinkauz in den Kantonen Genf, Jura und Tessin sowie im Seeland BE/FR. Eine baldige Wiederbesiedlung der Nordwestschweiz ist aufgrund der Steinkauzvorkommen im Elsass und in Südbaden gut möglich.

Schutzmassnahmen und günstige Witterung helfen dem Steinkauz

Im Jahr 2016 fanden die Projektmitarbeitenden rund 150 Reviere. Die deutliche Zunahme führt Christian Meisser von der „Groupe Ornithologique du Bassin Genevois“ (GOBG) auf den hervorragenden Bruterfolg 2015 zurück: "Im Jahr 2015 wurden im Kanton Genf 2.5 Junge pro Brutpaar flügge, so viele wie schon lange nicht mehr." Auch in anderen Regionen der Schweiz, im grenznahen Elsass und in Südbaden war der Bruterfolg hoch. Der hohe Bruterfolg war dank mardersicheren Niströhren und der trockenwarmen Witterung im Sommer 2015 möglich. "Zudem hat der milde Winter vermutlich dazu geführt, dass nur wenige Steinkäuze verhungerten. Im Frühling waren also mehr Käuze vorhanden, die nach einem Revier suchten", so Françoise Schmit von BirdLife Schweiz. "Längerfristig betrachtet, ist die Einrichtung von Biodiversitätsförderflächen durch Landwirte im Rahmen der Schutzprojekte ein sehr wichtiger Faktor für die Bestandserholung des Steinkauzes", ergänzt Christian Meisser.

Der Steinkauz hat in der Schweiz eine Zukunft

Konstant nasse Witterung, wie in der Brutsaison 2016, ist für die Steinkäuze ungünstig. Dennoch fällt der Bruterfolg 2016 jedoch nicht allzu schlecht aus. In mindestens 84 der rund 150 Reviere schritten die Steinkäuze tatsächlich zur Brut. Etwa 2.25 Jungvögel pro Brutpaar flogen 2016 aus.

Mathematische Modelle identifizierten den Steinkauz als eine von denjenigen Arten, die langfristig von der Klimaerwärmung profitieren könnten. In den Schutzprojekten von BirdLife Schweiz und seinen Partnern werden verloren gegangene Lebensräume wieder hergestellt. Trotz der Bedrohung durch eine verfehlte Raumplanung und eine immer intensivere Landwirtschaft bestehen somit gute Chancen, dass der Steinkauz in der Schweiz langfristig überleben kann, sofern die Schutzprojekte fortgeführt werden.

 

[1] Hayek, U. W., J. A. G. Jaeger, C. Schwick, A. Jarne, and M. Schuler. 2011. Measuring and Assessing Urban Sprawl: What are the Remaining Options for Future Settlement Development in Switzerland for 2030? Applied Spatial Analysis and Policy 4:249-279.
ARE. 2009. Monitoring de l’espace urbain suisse – Analyses des villes et agglomérations. Office fédéral du développement territorial, Bern.

[2] Bundesgesetz über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG), Art. 17

 

Schweizweites Netz von regionalen Projekten

Der Steinkauz ist eine Prioritätsart des Programms "Artenförderung Vögel Schweiz" von BirdLife Schweiz, der Schweizerischen Vogelwarte Sempach und des Bundesamts für Umwelt BAFU. Seit 2003 werden die regionalen Projekte im Rahmen dieses Programms geführt.

All diese Projekte hängen von der Finanzierung durch private Stiftungen und Spendende, durch den Fonds Landschaft Schweiz FLS und durch die Standortkantone ab. Mehrere Geldgeber unterstützen die Projekte seit über 10 Jahren. Im Namen aller Beteiligten bedankt sich BirdLife Schweiz herzlich für diese überaus wichtigen Beiträge!

Kanton Genf

Im Kanton Genf übernahm die Jugendgruppe von Nos Oiseaux seit 1983 eine nationale Verantwortung, indem sie die grösste Schweizer Population des Steinkauzes durch ein Nistkastenprogramm förderte. Seit 2011 wird das Projekt durch die „Groupe Ornithologique du Bassin Genevois“ (GOBG) umgesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf, Landwirten, Landeigentümern und weiteren Partnern werden neben Nistkasten auch ökologische Ausgleichsflächen gefördert. Der Steinkauz hat lokal zugenommen und kommt heute wieder in 74 Paaren (bzw. territorialen Sängern) vor.

Kanton Jura

BirdLife Schweiz gründete 2002 zusammen mit Nos Oiseaux, Pro Natura Jura, der Société des Sciences Naturelles du Pays de Porrentruy und der Association pour la Sauvegarde de la Baroche die Vereinigung Chevêche-Ajoie. Die Vereinigung und die Fondation Rurale Interjurassienne haben in Zusammenarbeit mit dem Kanton Jura gegen 2500 Hochstammbäume gepflanzt, etwa 40 Hektaren Grasland in den Steinkauzgebieten vertraglich gesichert und mehr als 100 Steinkauzkästen angebracht. Diese Massnahmen trugen dazu bei, den Bestand des Steinkauzes zu erhalten und allmählich zu steigern. Zudem begleitete die Vereinigung Chevêche-Ajoie die Erarbeitung von Zonenplänen, um die Überbauung mehrerer wichtiger Steinkauz-Brutplätze zu verhindern. Hierzu waren auch Einsprachen in Fällen, in denen Bauzonen klar überdimensioniert waren bzw. dem Volkswillen widersprachen, die Zersiedelung der Landschaft zu bremsen, notwendig. Die Aktivitäten der Vereinigung Chevêche-Ajoie haben so zur Zunahme des Steinkauzes von 13 Revieren 2003 auf 54 Reviere beigetragen.

Seeland BE/FR

Im Seeland fand 2005 überraschend ein Brutpaar des Steinkauzes zusammen. Das Weibchen stammte von der Genfer Population und lieferte den Beweis, dass die Ansiedlung auch über grosse Distanzen gelingen kann. Der Ornithologische Verein Kerzers und der BirdLife Schweiz unterstützen die Art seither in diesem Gebiet mit Nistkästen. Seit 2015 führen BirdLife Schweiz, Berner Ala, der Berner Vogelschutz BVS und ihre Sektionen zusammen mit der lokalen IBA-Gruppe und dem Biotopverbund Grosses Moos ein Projekt zur Aufwertung des Lebensraums des Steinkauzes und weiterer Kulturlandvögel durch. Ebenfalls 2015 startete die Schweizerische Vogelwarte Sempach ein Experiment zur Wirkung eines hohen Höhlenangebots für den Steinkauz. In enger Zusammenarbeit mit BirdLife Schweiz, dem Berner Vogelschutz BVS, der Berner Ala, lokalen BirdLife-Sektionen und der lokalen IBA-Gruppe hat die Vogelwarte über 100 Niströhren angebracht und kontrolliert regelmässig, ob sie von Steinkäuzen genutzt werden.

Nordwestschweiz und Regio Trirhena

Im Dreiländereck führen BirdLife Schweiz, BirdLife Aargau, der Basellandschaftliche Natur- und Vogelschutzverband (BNV), die Ornithologische Gesellschaft Basel (OGB), der Vogelschutzverband des Kantons Solothurn (VVS), NABU Südbaden und die LPO Alsace (Ligue pour la Protection des Oiseaux) seit 1999 ein gemeinsames Projekt durch. Im Projekt fördern die Partner die Bestände im Elsass und Südbaden und werten den Lebensraum in der Schweiz auf, damit umherstreifende Steinkäuze sich hier wieder ansiedeln können.Es gelang, die Steinkauzbestände in Deutschland und Frankreich nördlich von Basel stark zu vergrössern. Die Naturschützer hoffen nun auf die Einwanderung von Steinkauz-Pärchen ins Baselbiet und Fricktal.

Kanton Tessin

Im Tessin erforschen und fördern die Ficedula – die Landesorganisation von BirdLife Schweiz in der italienischsprachigen Schweiz – und BirdLife Schweiz den Steinkauz. Die Steinkäuze besiedeln hier im Gegensatz zur Alpennordseite in Rustici und nicht in Baumhöhlen. Die Projektverantwortlichen erforschen Nahrung, Jagdreviere und Höhlentypen und nutzen die Erkenntnisse zum Schutz der Civetta, wie der Steinkauz auf Italienisch heisst. Weitere wichtige Massnahmen sind Baumpflanzungen und gestaffelte Mahd von Wiesen, um dem Steinkauz die Nahrungssuche zu ermöglichen. Der Bestand hat sich von nur noch 4 Paaren 2005 auf 14 Reviere erholt.

 

BirdLife Schweiz

BirdLife Schweiz hat 63'000 Mitglieder und ist der Dachverband von 21 Kantonalverbänden und 450 lokalen Natur- und Vogelschutzvereinen. Er setzt sich als vielseitiger Naturschutzverband für die Erhaltung und Förderung der Natur in Wald, Kulturland und Siedlungsraum ein, insbesondere auch für die Vögel und ihre Lebensräume. Er führt Projekte zum Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume in der Schweiz und weltweit durch. Ebenso engagiert er sich in der Ausbildung und mit seiner Zeitschrift Ornis und den beiden Naturschutzzentren in La Sauge am Neuenburgersee und im Neeracherried im Kanton Zürich für die Motivation einer breiten Bevölkerung für den Naturschutz.

Mehr erfahren Sie unter www.birdlife.ch.

 


Tondokumente/Bilder

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Tonaufnahme: Der Steinkauz ist vor allem dämmerungsaktiv. Er ernährt sich in erster Linie von Kleinsäugern, aber auch von Grossinsekten wie den Grillen, die auf dieser Aufnahme ebenfalls zu hören sind.

Tonaufnahme: Jacques Prévost

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Zwei junge Steinkäuze vor der Bruthöhle. Der Erhalt alter Einzelbäume und von Hochstamm-Obstgärten ist für die Art wichtig.

Foto: Mathias Schäf

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Eine verfehlte Raumplanung und die Intensivierung der Landwirtschaft haben den Steinkauz um die Jahrtausendwende an den Rand des Aussterbens gebracht. Hochstamm-Obstgärten rund um die Dörfer wurden besonders oft überbaut.

Foto: BirdLife Schweiz

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Weitere Auskünfte

  • R. Ayé, Programmleiter Artenförderung, BirdLife Schweiz, 044 457 70 28, 076 308 66 84
     

Für die regionalen Projekte stehen folgende Ansprechpartner zur Verfügung:

  • Kanton Genf: C. Meisser, Groupe Ornithologique du Bassin Genevois GOBG: 078 806 00 57
  • Kanton Jura: N. Apolloni, Collectif Chevêche-Ajoie: 078 835 71 20
  • Seeland: Elisabeth Kalbermatten, Berner Vogelschutz BVS, 079 791 49 48
  • Nordwestschweiz: Françoise Schmit, BirdLife Schweiz, 078 804 98 67
  • Kanton Tessin: Roberto Lardelli, Ficedula & BirdLife Schweiz, 079 794 30 64