Wildbienen

Förderung von Wildbienen und blumenreichen Lebensräumen

Über 600 Arten in der Schweiz
Wildbienen, die in der Schweiz mit über 600 Arten vertreten sind, haben hohe Lebensraum­ansprüche. Viele dieser wichtigen Bestäuber von Wild- und Kulturpflanzen sind gefährdet. Sie lassen sich im Siedlungsraum über eine Erhöhung des Angebotes an Blüten und Kleinstrukturen besonders gut fördern. Unter günstigen Bedingungen können in Städten 50–90 % des regionalen Artenbestandes vorkommen und in Privatgärten 50 bis über 100 Arten leben.

Wichtige Bestäuber
Die Bedeutung der Wildbienen als Bestäuber wurde lange unterschätzt. Wildbestäuber und darunter vor allem Wildbienen und Schwebfliegen können in landwirtschaftlichen Kulturen bis zu zwei Drittel der gesamten Bestäubungsleistung abdecken und auch dann den Fruchtansatz erhöhen, wenn die Honigbiene häufig ist. Tatsächlich haben Wildbienen dank ihrer grossen Artenvielfalt eine Reihe von Vorteilen gegenüber der Honigbiene: so fliegen gewisse Wildbienen auch bei schlechtem Wetter, andere bestäuben Blüten, die von der Honigbiene nicht besucht werden. Mauerbienen sind um ein Vielfaches effizienter im Bestäuben von Obst als die Honigbiene.
Für die sichere Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen braucht es deshalb nicht nur die Honigbiene, sondern auch eine arten- und individuenreiche Wildbienenfauna. So belegen mehrere Studien, dass der Anteil erfolgreich bestäubter Blüten einer Pflanzenart desto höher ist, je mehr verschiedene Bienenarten die Blüten besuchen.
 


Viele Spezialisten
Wildbienen sind auf Gedeih und Verderben von zwei Hauptressourcen abhängig: Blüten für die eigene Ernährung beziehungsweise für die Ernährung ihrer Larven und Kleinstrukturen für die Anlage ihrer Nester. Rund 46 % aller nestbauenden Wildbienenarten Mitteleuropas sind zudem streng spezialisiert. Sie können den Pollen für die Ernährung ihrer Larven nur auf den Blüten einer einzigen Pflanzenfamilie oder gar nur einer einzigen Pflanzengattung sammeln. Für diese Spezialisten braucht es allein in Mitteleuropa Pflanzenarten aus 20 verschiedenen Familien und 28 verschiedenen Gattungen!
Für die Fortpflanzung brauchen Wildbienen ebenfalls enorme Pollenmengen. So benötigt ein Weibchen der Schwarzen Mörtelbiene den gesamten Pollengehalt von über 1100 Blüten der Esparsette, um einen einzigen Nachkommen zu erzeugen. Und für das Überleben einer Population von fünfzig Weibchen der Knautien-Sandbiene sind Jahr für Jahr 930 Pflanzen der Feld-Witwenblume notwendig!

Nistplätze
Jede Wildbienenart hat spezifische Ansprüche an ihren Nistplatz. Für den Bau der Nester graben sich die einzelnen Arten Gänge in lückig bewachsenen Boden, in morsches Holz oder in markhaltige Pflanzenstängel. Sie besiedeln bereits bestehende Hohlräume wie Käferfrassgänge in Totholz, hohle Pflanzenstängel, Erd-, Fels- und Mauerspalten oder leere Schneckengehäuse, oder bauen ihre Nester frei an Steinen oder Halmen. Entscheidend sind aber auch die Distanzen zwischen den Nistplätzen und dem Blütenangebot: Geringe Distanzen von maximal 200–300 m sind für die Wildbienen essentiell.

Zusammengefasst benötigen Wildbienen...

  • ein vielfältiges, grosses und kontinuierliches Angebot an Blüten,
  • ein grosses und vielfältiges Angebot an Kleinstrukturen,
  • geringe Distanzen zwischen Nest und Futterpflanzen.

Aufgrund dieser hohen Ansprüche an das Ressourcenangebot und die Kleinräumigkeit ihrer Lebensräume erstaunt es nicht, dass der Prozentsatz an gefährdeten Arten unter den Wildbienen besonders hoch ist. In Mitteleuropa stehen je nach Land und Region zwischen 38 und 68 % aller Arten auf den aktuellen Roten Listen, in der Schweiz sind es 45 %.
 


Nicht alle Pflanzen sind gleichermassen gut geeignet für Wildbienen. Die Blüten der folgenden Pflanzen dienen im Siedlungsraum besonders vielen unspezialisierten und spezialisierten Wildbienen als Pollen- und Nektarquellen. Ebenfalls wichtige Nahrungspflanzen sind Doldenblütler wie Möhre oder Kerbel oder bestimmte Rosengewächse wie Fingerkraut oder Stein- und Kernobst.


Die meisten Wildbienen haben spezifische Flugzeiten, die je nach Art in den Vorfrühling, Frühling, Frühsommer, Sommer oder Frühherbst fallen und in der Regel nur ein bis zwei Monate dauern. Entstehen Blütenlücken, zum Beispiel weil alle blütenreichen Wiesen innerhalb weniger Tage gemäht werden, erleiden die zu dieser Zeit fliegenden Arten Nahrungsengpässe und verschwinden über kurz oder lang. Deshalb: Je kontinuierlicher das Blütenangebot von März bis Oktober ist, desto mehr verschiedene Wildbienenarten können in einer Landschaft vorkommen.


Grosse Artenvielfalt ist möglich
Siedlungen können reich an Arten und Lebensräumen sein. Gemäss neuen Schätzungen leben alleine in der grössten Schweizer Stadt rund 16‘000 verschiedene Arten. Dazu trägt hauptsächlich die grosse Vielfalt an Lebensraumtypen bei, welche im Siedlungsgebiet auf relativ kleinem Raum mosaikartig angeordnet sind. Das Lebensraummosaik ist äusserst dynamisch, denn es entstehen immer wieder neue Flächen, während alte verschwinden.

Immer artenärmere Grünräume
Gewisse Lebensräume des Siedlungsgebiets, beispielsweise die Ruderalflächen, sind ähnlich wie jene, die in der Natur- und Kulturlandschaft selten geworden sind. Besondere Standorte wie begrünte Dächer sorgen für eine zusätzliche Lebensraumvielfalt. Heute sind jedoch zahlreiche potentielle Lebensräume im Siedlungsraum asphaltiert oder mit exotischen Pflanzen bestückt, daher arm an Arten und stark isoliert. Im Siedlungsgebiet schlummert deshalb ein grosses ökologisches Potenzial, das bisher nur ungenügend ausgeschöpft wird.

Multifunktionale Lebensräume
Im Siedlungsgebiet sind die meisten Grünflächen multifunktional und werden vom Menschen mitgenutzt. Arten- und Lebensraumförderung ist deshalb immer auch mit den Bedürfnissen des Menschen zu kombinieren. Gleichzeitig bietet sich damit die Chance, die Bevölkerung für die Ansprüche der Biodiversität zu sensibilisieren. Denn nirgendwo sonst lassen sich so viele Menschen erreichen wie in Siedlungen – dort, wo sie arbeiten und wohnen.
  


Hohe Biodiversität
Blumenwiesen können sehr artenreiche Lebensräume sein: Auf fünf Quadratmetern einer mageren Trespenwiese kommen zwischen 40 und 60 Pflanzenarten vor, auf einer Fromentalwiese zwischen 35 und 45 Arten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Tierarten, vor allem Insekten und andere Wirbellose, Reptilien und Vögel. Pflanzen der Blumenwiesen müssen blühen und dann Samen bilden können, bevor sie geschnitten werden. Je früher und je häufiger eine Wiese gemäht wird, desto weniger Arten können darin leben. Im Siedlungsgebiet lassen sich vielerorts Blumenwiesen anlegen: in Parks, Wohnumgebungen, Firmenarealen, Gärten, Arealen von öffentlichen Gebäuden oder auf Böschungen entlang von Wegen und Strassen, selbst auf Dächern.

Standort und Nutzung massgeblich
Bei der Wahl eines geeigneten Ortes muss auf den Standort und die Nutzung durch den Menschen geachtet werden. Flächen, die häufig betreten werden, eignen sich nicht für die Anlage einer Blumenwiese. Besser sind Flächen, die nur selten betreten werden. Blumenrasen hingegen sind robust, denn Rasenpflanzen gedeihen auch, wenn sie betreten oder öfter gemäht werden. Ideal ist es, wenn Blumenrasen mit seltener gemähten Streifen aus Blumenwiesen kombiniert werden.
Je nach Nährstoffgehalt des Bodens, Sonneneinstrahlung und verwendeter Samenmischung zeigen Wiesen ein anderes Bild. Auch im Verlaufe der Jahre wechselt das Aussehen. Bis eine Wiese in einem Gleichgewichtszustand ist, dauert es gegen fünf Jahre.
  


Magere, kiesige Böden
Natürlicherweise kommen Ruderalflächen (Kiesflächen) auf Schotter- und Kiesbänken entlang von Flüssen und an Schutthängen vor. In der Natur- und Kulturlandschaft werden diese Lebensräume immer seltener. Ähnliche Lebensräume finden sich auch im Siedlungsraum in Gärten, entlang von Wegen, an Böschungen, auf unversiegelten Plätzen oder auf Baulandbrachen. Bereits auf kleinen Flächen können blütenreiche Ruderalflächen gedeihen. Voraussetzung dafür sind ein sonniger Standort sowie ein magerer und kiesiger oder steiniger Boden.

Lückige Bepflanzung
Im Gegensatz zu Wiesenpflanzen bilden Pionier­pflan­zen keine geschlossene Pflanzendecke, sondern lassen Lücken mit offenem Boden. An sonnigen Standorten bieten Ruderalflächen deshalb geschützte und warme Bodenstellen, wo Tiere wie Eidechsen oder Insekten sonnenbaden, sich aufwärmen oder nisten können. Die Stängel von mehrjährigen Pionierpflanzen sind oft hohl (z.B. Karde) oder markhaltig (z.B. Königskerzen). Wildbienen und anderen Wirbellosen dienen sie als Nist- und Überwinterungsplätze, sofern sie über Winter stehen gelassen werden. Ruderalflächen sollten deshalb nicht jedes Jahr gemäht werden.
  

            


Weitere Informationen und Materialien

Möchten Sie mehr über das Thema erfahren und/oder konkret Wildbienen fördern? Hier werden Sie fündig:

Texte: Andreas Müller, Manuela Di Giulio. Bilder: Albert Krebs, BirdLife Schweiz