AP22+

Agrarpolitik: Es steht viel auf dem Spiel!

Kommentar zu den Abstimmungen zu Fair Food / Ernährungssouveränität im Hinblick auf die neue Agrarpolitik AP 22+

Derart unterschiedliche Interpretationen über Abstimmungsresultate wie bei den Initiativen für Fair Food und Ernährungssouveränität hat es schon lange nicht mehr gegeben. Für die einen sind die Resultate eine Bestätigung, dass bäuerliche Familienbetriebe und das Tierwohl bedeutende Anliegen der Bevölkerung seien. Andere interpretieren das doppelte Nein als Absage an Abschottung und rückwärtsgewandte Agrarpolitik. Die Grünen wiederum verlangen vom Bundesrat, dass er seinen kompromisslosen Freihandelskurs zwingend überdenken müsse. Jeder versucht, aus der Abstimmung das herauszulesen, was eine gute Ausgangslage für die kommenden, viel wichtigeren Entscheide bringen soll. Denn schon bald geht es um die Wurst, nämlich um die Agrarpolitik 22+.

Vernehmlassung zur AP22+ beginnt bald

Die Vernehmlassung zur AP22+ beginnt im Spätherbst. 2019 wird die Botschaft des Bundesrates folgen. Die an­schlies­sende Parlamentsdebatte muss Ende 2020 abgeschlossen sein, damit Gesetz und revidierte Verordnungen am 1.1.2022 in Kraft treten können. Überlagert wird das Vorgehen von den beiden Pestizid-Initiativen: der Trinkwasser-Initiative und jener zum Verbot synthetischer Pestizide. Der Bundesrat hat bereits beschlossen, beide ohne Gegenentwurf zur Ablehnung zu empfehlen.
Laut Zeitungsberichten hat sich der scheidende Bundesrat Johann Schneider-Ammann anscheinend mit dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) auf einen Zeitplan verständigt: Die Trinkwasser-Initiative soll möglichst rasch an die Urne – ohne Gegenvorschlag. Damit würde sie in der Beratung der AP22+ keine Rolle mehr spielen, und der SBV hätte freie Fahrt, die Agrarpolitik mit seiner Lobbymacht nach eigenem Gusto zu gestalten. Sollte es diesen Deal geben, hätte sich die Verweigerungspolitik des SBV in den letzten Monaten ausbezahlt. Ob es doch noch zu Gegenentwürfen für die Initiativen kommt, wird sich zeigen.

System wäre gut, aber...

Für die Biodiversität steht bei der Agrarpolitik 22+ viel auf dem Spiel. Der neue Brut­vogelatlas zeigt die dramatische Lage der biologischen Vielfalt im Landwirtschaftsland klipp und klar (Seite 20). BirdLife Schweiz und die anderen Umweltorganisationen verlangen daher klare Verbesserungen. Das System der Biodiversitätsförderflächen mit ihrer Verteilung über das ganze Land ist grundsätzlich gut. Doch erstens wird es durch all die konkurrenzierenden Beiträge torpediert, die eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft fördern, wie etwa die sogenannten Versorgungssicherheitsbeiträge. Diese müssen abgebaut werden. Zweitens ist die Qualität vieler Biodiversitätsförderflächen ungenügend. Die sogenannte Qualitätsstufe II, bei der die Flächen bestimmte Pflanzenarten aufweisen müssen, reicht allein nicht und muss erweitert werden. Zudem müssen auch Strukturen, die für die Fauna wichtig sind, gefördert werden. Es ist im heutigen System unverständlich, dass bereits bei kleinen sogenannt unproduktiven Strukturen, die bei einer Parzelle mehr als 1% ausmachen, ein Abzug von der landwirtschaftlichen Nutzfläche und damit der Direktzahlungen droht. Damit wird die Beseitigung von ökologisch wertvollen Strukturen sogar noch gefördert – während keine Beiträge zur Förderung von Klein­strukturen wie Asthaufen etc. bestehen. Überdies gibt es in Sachen Vernetzungsprojekte Handlungsbedarf. Diese waren konzipiert worden, damit die Biodiversitätsförderflächen in der Landschaft so angelegt werden, dass sie bestimmten Zielarten auch wirklich dienen, und damit ihre Anordnung im Raum den Ansprüchen der Arten gerecht wird. In der Praxis ist davon nicht viel übrig geblieben. Ein Beispiel: In unzähligen Vernetzungsprojekten wird die Feldlerche als Zielart genannt. Die Massnahmen sind aber viel zu unspezifisch. Der Feldlerchenbestand nimmt weiterhin stark ab. Die Vernetzung muss wieder auf ihr eigentliches Ziel ausgerichtet und verstärkt gefördert werden. 

Gefährliche Pläne

Der Bundesrat spricht von einer Vereinfachung und einer Reduktion des administrativen Aufwands. Das tönt gut, kann sich aber je nach Ausgestaltung katastrophal auf die Biodiversität auswirken und den noch vorhandenen Arten den Rest geben. Es braucht Regeln darüber, wie die Biodiversitätsförderflächen bewirtschaftet werden. Und es braucht zum Beispiel Vorgaben zum Schnittzeitpunkt von Wiesen für die Biodiversitätsförderung.
Das Schlimmste wäre nun, wenn der Bund das System ohne Praxistests umkrempeln würde und damit auch noch die letzten vorhandenen Naturwerte ausgelöscht würden. Denn auch wenn die heutigen Biodiversitätsförderflächen noch zu wenig wirksam sind, so haben sie doch bisher einen totalen Kahlschlag in der Biodiversität verhindert. Mit Verbesserungen haben sie zukünftig das Potenzial, Wirkung für die biologische Vielfalt zu erzielen. BirdLife Schweiz bleibt dran.

Oktober 2018