40 Jahre Berner Konvention: Die Schweiz tut viel zu wenig für die Biodiversität

40-Jahre-Jubiläum des Übereinkommens zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention) am 1. Juni 2022

In der Schweiz sind ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume bedroht. Die Biodiversitätskrise verstärkt sich. Der Verlust an wichtigen Ökosystemleistungen droht. Dennoch tut die Schweiz viel zu wenig für ihre biologische Vielfalt. Sie setzt damit ihre eigenen Gesetze und Strategien ungenügend um. Und sie hält sich auch nicht an internationale Abmachungen, wie sie etwa die Berner Konvention vorgibt. Eine Bilanz zum heutigen 40-jährigen Bestehen des Übereinkommens für die Schweiz fällt sehr ernüchternd aus.

Das internationale "Übereinkommen zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihrer natürlichen Lebensräume", kurz Berner Konvention, trat vor genau 40 Jahren am 1. Juni 1982 in Kraft. Sie wurde im Rahmen des Europarats drei Jahre zuvor im Berner Rathaus unterzeichnet und trägt deshalb den Namen der Bundesstadt. Die Berner Konvention war damals das erste Abkommen, das den Schutz der Biodiversität auf europäischer Ebene regelt.

Doch die Schweiz hinkt auch bei der Berner Konvention mit der Umsetzung hinten nach. "Zu lange wurde das Abkommen nur mit dem Schutz von Grossraubtieren in Zusammenhang gebracht. Ziel des Übereinkommens ist es aber, die wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume in ihrer Gesamtheit zu erhalten und die Zusammenarbeit aller Länder Europas zu fördern", erklärt Raffael Ayé, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. "Die Schweiz mag vor vier Jahrzehnten noch zu den Musterschülerinnen des Kontinents im Naturschutz gezählt haben, heute ist sie es sicher nicht mehr."

Die Schweiz tut viel zu wenig

Die Berner Konvention enthält viele Massnahmen, die zum Erhalt der Natur umgesetzt werden sollen. Die Schweiz ist bisher den wenigsten nachgekommen. 1996 zum Beispiel wurde beschlossen, dass sich die Mitgliedstaaten für den global gefährdeten Wachtelkönig einsetzen sollen. Doch unser Land wurde nicht aktiv. So startete BirdLife Schweiz ein Schutzprojekt für den heimlichen Wiesenvogel und führt dieses bis heute weiter. Der Wachtelkönig brütet nun wieder fast jedes Jahr in der Schweiz. Immerhin tragen Bund und Kantone das BirdLife-Wachtelkönigprojekt heute als Teil des Programms Artenförderung Vögel Schweiz von BirdLife Schweiz und Schweizerscher Vogelwarte mit Unterstützung des BAFU mit.

2004 empfahl die Berner Konvention, die gefährlichsten Masttypen von Stromleitungen, an denen gefährdete Vogelarten durch Stromschlag getötet werden, zu verbieten. In der Schweiz ist eine entsprechende Regelung seit Jahren im Bundesrat blockiert. Der Stromtod von Vögeln an Leitungsmasten ist vom Artenschutz her unverständlich: Die entsprechenden Massnahmen sind seit Jahrzehnten bekannt. Der Schutz der Vögel dient auch der Versorgungssicherheit, weil der Tod der Vögel einen Kurzschluss und damit oft einen Stromunterbruch verursacht.

Schlusslicht bei den Schutzgebieten

Besonders gross ist der Rückstand der Schweiz bei den Schutzgebieten, die gefährdete Arten und ihre Lebensräume bzw. Ökosysteme erhalten sollen. Seit 1989 müsste auch unser Land am europaweiten Schutzgebietsnetzwerk mit dem Namen „Smaragd“ arbeiten. Unsere Nachbarländer haben das Netzwerk seit 1992 kontinuierlich aufgebaut. In Frankreich nimmt es unter der EU-Bezeichnung „Natura2000“ heute 13 Prozent der Landfläche ein, in Deutschland und Österreich 15 Prozent und in Italien 19 Prozent. Die Schweiz hat 2012 drei Dutzend bereits weitgehend geschützte Gebiete der Berner Konvention gemeldet, die 1,6 Prozent der Landesfläche umfassen. Seit zehn Jahren ist erneut Funkstille.

Generell ist unser Land bezüglich Schutzgebetskategorien das Schlusslicht Europas. „Eine korrekte Berechnung der Schutzgebiete der Schweiz ergibt knapp 10 Prozent der Landesfläche“, betont Raffael Ayé. Da seien bereits Gebiete von 4 Prozent mit schwachen Schutzanforderungen wie die Jagdbanngebiete mitgerechnet. Um einen höheren Wert ausweisen zu können, verwende der Bund unter der Bezeichnung „ausgewiesene Flächen für die Biodiversität“ einen Wert von 13,4 Prozent der Landesfläche. Raffael Ayé betont: „Indem man zu den Schutzgebieten einfach weitere, nicht langfristig geschützte Gebiete hinzuzählt, ist der Schweizer Natur nicht geholfen. Die Schweiz muss jetzt rasch eine gute Ökologische Infrastruktur aufbauen und generell die Förderung der Biodiversität deutlich stärken.“
 

Berner Konvention geht weit über Grossraubtiere hinaus

Ziel der Berner Konvention ist es, wildlebende Pflanzen und Tiere sowie ihre Lebensräume, insbesondere die Arten und Lebensräume, deren Erhaltung die Zusammenarbeit mehrerer Staaten erfordert, zu erhalten. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die nationale Politik zur Erhaltung wildlebender Pflanzen und Tiere sowie ihrer Lebensräume zu fördern. Dazu gehört ein breitet Feld von Verpflichtungen und Empfehlungen, zum Beispiel:

  • Erhaltung und Förderung wichtiger Lebensräume
  • Insbesondere: Aufbau des Smaragd-Netzwerks von Schutzgebieten für gefährdete Arten und Lebensräume
  • Schutz von prioritären Tier- und Pflanzenarten
  • Insbesondere: Umsetzung von Förderungsmassnahmen für gefährdete Arten
  • Schutz der Zugvögel von illegaler Verfolgung, Jagd und Fang
  • Schutz vor anderen Gefahren wie für Vögel gefährlichen Strommasten oder Störungen
  • Massnahmen der Erziehung und Bildung für die Natur und ihren Schutz

 


Bilder

Die Schweiz hat der Berner Konvention 37 Schutzgebiete gemeldet, die dadurch jedoch keinen zusätzlichen rechtlichen Schutz erhalten haben. Der Fortschritt für die Biodiversität ist völlig ungenügend.

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Gemäss der Berner Konvention sollen sich die Mitgliedstaaten für den global gefährdeten Wachtelkönig einsetzen. Doch unser Land wurde nicht aktiv. Deshalb startete BirdLife Schweiz ein Schutzprojekt für den heimlichen Wiesenvogel, das heute immerhin von Kantonen und Bund unterstützt wird.

Foto: Marcel Burkhardt

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Auskünfte

Dr. Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz, raffael.aye@birdlife.ch, Tel. 076 308 66 84