Biodiversitätskrise in der Schweiz: der Realität ins Auge blicken!

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Zahlreiche wissenschaftliche Studien und Berichte des Bundes zeigen: Der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist schlecht. Und was die Schweiz bisher zum Schutz der Biodiversität tut, geht zwar in die richtige Richtung, reicht aber bei weitem nicht. Eine aktuelle Recherche des Onlinemagazins «Republik» zeigt nun, dass der Zustand der Biodiversität in Wahrheit noch schlechter ist, als die Berichte des Bundes glauben lassen.

Die «Republik» wies nach, dass im Bericht «Wirkungsanalyse zum Aktionsplan Biodiversität» zahlreiche Textstellen korrigiert wurden, um den Fortschritt beim Erhalt der Biodiversität in der Schweiz besser aussehen zu lassen als er tatsächlich ist. Der Aktionsplan Biodiversität ist eines der wichtigsten Instrumente für den Erhalt der Biodiversität in der Schweiz. Entsprechend grosse Bedeutung hat auch die von den Beschönigungen betroffene Wirkungsanalyse.

Schon als der Aktionsplan Biodiversität 2017 publiziert wurde, haben zahlreiche Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft kritisiert, die darin genannten Ziele und Massnahmen seien unzureichend, um die Ziele der Strategie Biodiversität zu erreichen und um der Biodiversitätskrise in der Schweiz Herr zu werden. Weil der offizielle Aktionsplan zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nur ein sehr kleiner und ungenügender war, publizierten diese Expertinnen und Experten den «Aktionsplan der Zivilgesellschaft». Dieser dient noch heute als Nachschlagewerk des gesammelten Fachwissens. Knapp fünf Jahre nach Publikation des Aktionsplans zeigten dann mehrere externe Evaluationsberichte, dass sogar diese unzureichenden Ziele verfehlt und die Massnahmen nur teilweise umgesetzt wurden. Ein katastrophales Fazit, das Behörden und Politik hätte aufrütteln müssen.

 

«Statt einer deutlichen Kurskorrektur fand eine Korrektur der Berichte statt.»

Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz


Doch statt einer deutlichen Kurskorrektur fand eine Korrektur der Berichte statt. Wie die «Republik» aufzeigen konnte, wurden zahlreiche Aussagen korrigiert, damit der Fortschritt beim Erhalt der Biodiversität positiver erschien als er tatsächlich war. Einerseits wurde damit indirekt der Zustand der Biodiversität zu positiv dargestellt. Andererseits wurden Hinweise auf den negativen Einfluss insbesondere der Landwirtschaft auf die Biodiversität abgeschwächt oder gleich ganz gestrichen. Wer meint, damit tue die Bundesverwaltung den Landwirtinnen und Landwirten einen Gefallen, der irrt. Denn der eigentliche Grund für die Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft und die damit einhergehenden grossen Schäden an der Biodiversität oder genereller an der Umwelt liegt in der verfehlten Agrarpolitik. Wenn die Bundesverwaltung fachlich begründete Kritik an der heutigen landwirtschaftlichen Praxis aus einem Bericht löscht, schützt sie damit also Behörden und Politik, nicht die Bäuerinnen und
Bauern.

Die Vorkommnisse erinnern an einen anderen Bericht der Bundesverwaltung, der wenige Monate nach der Wahl von Albert Rösti zum Bundesrat veröffentlicht wurde. In diesem Fall wurde der Anteil der bestehenden Schutzgebiete für die Biodiversität plötzlich auf über 23 % beziffert statt auf 11 % wie zuvor in der offiziellen Statistik. Wenn die international anerkannten Kriterien korrekt angewendet werden, ist der Anteil noch tiefer. Die «Republik» zeigte in ihrem Artikel auf, dass bereits unter Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Tendenz zur Verharmlosung oder zumindest zu einer auffälligen Zurückhaltung in der Kommunikation des Biodiversitätsverlusts bestand. Unter Bundesrat Rösti hat sich diese Entwicklung deutlich verschärft.

Wenn Bevölkerung, Wirtschaft, Behörden, Politik und weitere wichtige Akteure nicht transparent über den erschreckenden Zustand der Biodiversität informiert sind, dann können sie nicht angemessen reagieren. Gerade deshalb ist jegliche Beschönigung von fachlichen Einschätzungen bzw. Fachberichten inakzeptabel.
 

 Die wichtigsten Argumente (Ornis-Artikel Juni 2024) 

 


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Aus Ornis 2/24, Juni 2024
Autor: Raffael Ayé