Inakzeptabel: Ständerat bricht mit Grundprinzipien des Umweltrechts

Medienmitteilung vom 19.12.2024 von BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz

Der Ständerat bringt den Beschleunigungserlass aus dem Lot, indem er das Verbandsbeschwerderecht bei den 16 Wasserkraftprojekten des Stromgesetzes streicht und so die Stimme der Natur zum Verstummen bringt. Und dies, obwohl man vor sechs Monaten der Stimmbevölkerung noch das Gegenteil versprochen hat.

  • Weiter will die Mehrheit des Rates ein Grundprinzip des Umweltrechts einfach so über den Haufen werfen: Ersatzmassnahmen zur Kompensation von Eingriffen in schutzwürdige Lebensräume sollen künftig für die Betreiber mit einer simplen Geldzahlung erledigt und nicht mehr Teil des Gesamtprojekts sein.
      
  • Darüber hinaus sieht die Vorlage mehrere weitere Verschlechterungen für die Natur vor. Und dies in Zeiten, in denen vor unserer Haustür immer mehr Tier- und Pflanzenarten verschwinden.


Volkswille wird ignoriert
Bundesrat und Nationalrat sahen eine grundsätzlich sinnvolle Straffung der Verfahren zur Bewilligung von Energieprojekten vor, um dem Ausbau der Erneuerbaren Energien Schub zu verleihen. Der Ständerat hat nun aber beschlossen, das Verbandsbeschwerderecht - und damit die Stimme der Natur-  massiv einzuschränken. Nur sechs Monate nach der Abstimmung über das Stromgesetz bricht die kleine Kammer damit das Versprechen von Bundesrat und Parlament, dass “die Beschwerdemöglichkeiten von Privaten und Verbänden aber bestehen bleiben” ( Abstimmungsbüchlein zum Stromgesetz, S. 44) und ignoriert den Volkswillen. Darüber hinaus soll gemäss Ständeratsentscheid der Rechtsschutz sowie Umwelt- und Planungsbestimmungen noch in weiteren Punkten geschwächt werden.

Die Organisationen der Umweltallianz stehen selbstverständlich weiterhin hinter dem Runden Tisch Wasserkraft und damit dem raschen Vorantreiben der entsprechenden Speicherwasserkraftprojekte. Dafür setzten wir uns in verschiedenen Begleitgruppen zu den jeweiligen Projekten auch aktiv ein. Die Stimmbevölkerung hat mit der Annahme des Stromgesetzes entschieden, dass diesen Projekten ein grundsätzlicher Interessenvorrang zugeschrieben wird. Damit sind die Beschwerdemöglichkeiten künftig bereits eingeschränkt. Doch die Bevölkerung hat nicht über die konkrete Ausgestaltung der Projekte entschieden. Diese liegt bei vielen Projekten noch gar nicht vor. Und auch Projekte mit demokratischer Zustimmung müssen selbstverständlich gesetzeskonform umgesetzt werden und die geltenden Umweltvorschriften einhalten. Das Verbandsbeschwerderecht stellt im Zweifelsfall lediglich sicher, dass die Gesetze auch wirklich eingehalten werden.

Ersatzmassnahmen: Wo liegt das Problem?  
Ursprünglich hatte die sogenannte Beschleunigungsvorlage zum Ziel, die Bewilligungsverfahren von Energieprojekten von nationalem Interesse zu vereinfachen und effizienter zu gestalten - ein Anliegen, das auch die Umweltorganisationen explizit befürworten.

Doch nun setzt der Ständerat einen Grundpfeiler des Umweltrecht aufs Spiel: Denn jedes Kraftwerk greift in die Natur ein und verursacht Schäden. Diese als Teil des Gesamtprojekts auszugleichen – mit ganz konkreten Massnahmen für die geschädigten Lebensräume – ist heute Sache der Kraftwerksbetreiber - eine seit Jahrzehnten bewährte Praxis. Dies war auch immer im Interesse der Kraftwerksbetreiber. So konnten sie ihren Beitrag leisten für eine naturverträgliche Energieproduktion. Der Ständerat will nun, dass sich die Kraftwerksbetreiber aus ihrer Verantwortung herauskaufen können. Neu sollen die personell oft unterdotierten Kantone zu einem späteren Zeitpunkt für die Umsetzung der Ersatzmassnahmen zuständig sein. Dies würde bedeuten, dass der Ersatz zu spät, nur teilweise oder gar nicht umgesetzt würde. Dadurch wird der Naturschutz empfindlich geschwächt! Und wenn wir in Zeiten des massiven Artensterbens etwas nicht brauchen, dann ist es weniger Schutz für Tier- und Pflanzenarten.  

Vorlage ist absturzgefährdet
Die Entscheide des Ständerats bringen nun die Vorlage in massive Schieflage und untergraben deren Mehrheitsfähigkeit. Das Verbandsbeschwerderecht ist ein Eckpfeiler des Umweltrechts und zentral für die Einhaltung der Gewaltenteilung. Die beschlossene Einschränkung dieses Rechts ist unnötig, unvernünftig und nicht verhältnismässig. Die Ersatzmassnahmen müssen bei Eingriffen in schutzwürdige Lebensräume weiterhin gesichert sein. Auch in weiteren Punkten ist die Vorlage in ihrer derzeitigen Form schädlich für die in der Schweiz besonders stark gefährdete Biodiversität. Hier muss der Nationalrat den Entscheid des Ständerats dringend korrigieren.
 


Was ist das Verbandsbeschwerderecht?

Obwohl die Natur selbst ja keine Stimme erheben kann, muss es möglich sein, durch ein Gericht prüfen zu lassen, ob erhebliche Eingriffe in die Natur z.B. bei einem Energieprojekt gesetzeskonform sind. Deshalb braucht es das Verbandsbeschwerderecht (VBR): Die Natur erhält eine Stimme. Entscheide fällen immer die Richterinnen und Richter. Die Verbandsbeschwerden werden von den Gerichten in hohem Mass gutgeheissen. So wurden in den letzten 10 Jahren in zwei von drei Fällen die gesetzlich vorgeschriebenen Verbesserungen für die Natur erzielt. Das zeigt, dass das VBR ein effizientes und bewährtes Instrument im Umweltrecht ist, welches verantwortungsvoll eingesetzt wird. Das VBR wurde zudem von der Bevölkerung in einer Volksabstimmung im Jahr 2008 mit 66 Prozent der Stimmen überaus deutlich bestätigt.
  


Kontakte

  • WWF Schweiz: Jonas Schmid, Mediensprecher, jonas.schmid@wwf.ch, 079 241 60 57
  • Pro Natura: Abteilungsleiter Politik und Internationales, 079 631 34 67, stefan.kunz@pronatura.ch
  • Birdlife Schweiz:  Raffael Ayé, Geschäftsführer, 076 308 66 84, raffael.aye@birdlife.ch