Biodiversitätsjahr mit Höhen und Tiefen - Politik im Rückstand

Medienmitteilung des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz vom 27. Dezember 2010

Während die Bevölkerung die Biodiversität verstärkt wahrnimmt und sich dafür immer mehr begeistert, stagniert die Schweizer Biodiversitätspolitik oder macht gar Rückschritte: Das ist die Bilanz des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz zum Jahr 2010 in Sachen biologische Vielfalt. Die Schweiz hat ihre Biodiversitätsziele der letzten 10 Jahre weitgehend verfehlt. Nun braucht es grosse Anstrengungen, um die auch international verbindlichen Biodiversitätsziele 2020 von Nagoya zu erreichen. Der SVS/BirdLife Schweiz fordert, dass unser Land 2011 endlich die nötigen Schritte macht.
 
Für die Natur und Landschaft hatte 2010 erfreuliche Höhen und beängstigende Tiefen. Beginnen wir mit den Höhen: Das Internationale Jahr der Biodiversität förderte die Wahrnehmung der Biodiversität in der Bevölkerung entscheidend. Zehntausende liessen sich in der Natur von der biologischen Vielfalt begeistern, zum Beispiel Mitte Juni an den Tagen der Artenvielfalt mit 120 Anlässen in der ganzen Schweiz und über 10'000 Teilnehmenden. Naturschutzorganisationen, Behörden, Schulen, Gemeinden, Unternehmen und Privatpersonen setzten mehrere tausend Projekte für die Natur um, vom grossen neuen Delta des Ticinoflusses in den Bolle di Magadino bis zu den unzähligen kleinen Renaturierungen von Schulanlagen oder Pflanzungen von Hecken und Hochstammbäumen.

Grosse Defizite in der Politik
Politisch begann das Jahr zwar nicht schlecht, indem der Bundesrat im Januar end-lich den Schutz der Trockenwiesen und –weiden beschloss, allerdings erst nachdem eine Petition von SVS/BirdLife Schweiz und Pro Natura den Druck aus der Bevölkerung sichtbar gemacht hatte, die letzten Blumenwiesen unseres Landes zu sichern. Doch dann folgten Tiefen um Tiefen vor allem aus den Eidgenössischen Räten: Ablehnung der Protokolle der Alpenkonvention, Verschlechterung des Schutzes des Wolfes, möglicher Austritt aus der Berner Konvention zum Schutz der Pflanzen und Tiere und ihrer Lebensräume und in der Dezembersession Ablehnung der dringend nötigen zusätzlichen Mittel zum Schutz wenigstens der wertvollsten Biotope der Schweiz. So besteht die Gefahr eines weiteren Qualitätsverlusts dieser Perlen unseres Landes. Bei den sogar in der Bundesverfassung speziell geschützten Mooren war schon vor drei Jahren festgestellt worden, dass nicht weniger als ein Viertel stark verarmt, wenn Politik und Behörden nicht zusätzliche Massnahmen ergreifen; geschehen ist 2010 nichts.

Auch bisher häufige Vogelarten immer stärker gefährdet
Bei einer solchen Stagnation, ja sogar deutlichen Rückschritten der Biodiversitätspo-litik 2010 und in den Jahren zuvor ist klar, dass es auch den vielen gefährdeten Arten nicht besser geht. Im Gegenteil: Im Dezember kam die neue Rote Liste der gefährdeten Brutvogelarten heraus, die zeigt, dass jetzt auch bis vor kurzem häufige Arten wie Mehlschwalbe, Gartengrasmücke oder Hänfling potenziell gefährdet sind. Der attraktive Kiebitz ist jetzt sogar vom Aussterben bedroht. Gesamthaft konnte die Schweiz den bereits 2007 von der OECD als zu hoch gerügten Anteil gefährdeter Arten noch immer nicht senken.

Ab 2011 gelten die Biodiversitätsziele 2020 von Nagoya
Bei diesen fehlenden Anstrengungen von Politik und Behörden und dem unvermin-derten Druck auf die Natur ist klar, dass die Schweiz mit der Erreichung des vor acht Jahren weltweit vereinbarten Ziels gescheitert ist, den Biodiversitätsverlust deutlich zu vermindern. Von den 11 für die Schweiz relevanten Zielen hat sie gar keines erreicht, 5 wenigstens teilweise erfüllt und 6 sogar ganz verfehlt. Immerhin hat der Bund in seiner Bilanz für die Biodiversitätskonvention diese Situation klar aufgezeigt und nicht zu beschönigen versucht. Die von 192 Staaten der Welt, darunter die Schweiz, unterzeichnete Biodiversitätskonvention sorgte denn auch für den einzigen politischen Lichtblick in Sachen biologische Vielfalt im zu Ende gehenden Jahr: Nach intensiven Verhandlungen und vielen Kompromissen einigte sich die Konferenz von Nagoya auf klare Biodiversitätsziele 2020.

Will die Schweiz endlich ihren Verpflichtungen nachkommen, darf sie nicht weiter zuwarten, sondern muss das Jahr 2011 nutzen, sich eine griffige Biodiversitätsstrategie mit klaren Zielen, konkreten Massnahmen und den nötigen Mitteln zu geben. Die Förderung und Sicherung der Biodiversität ist eine Verpflichtung für alle Sektoren von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Bundespräsidentin Doris Leuthard sagte es im März in einer Rede zur biologischen Vielfalt so: «Biodiversität ist überlebenswichtig und auch von grossem volkswirtschaftlichem Wert.» Der SVS/BirdLife Schweiz fordert nach den Tiefen für die Biodiversität im Jahr 2010, dass die Schweiz endlich mehr tut für ihre biologische Vielfalt.