Raffael Ayé

BirdLife Schweiz mit neuem Geschäftsführer

BirdLife Schweiz unter neuer Leitung: Raffael Ayé ist der neue Geschäftsführer des drittgrössten Naturschutzverbands der Schweiz.

Die Vögel und der Naturschutz haben ihn um die halbe Welt geführt. In den letzten Jahren hat er bei BirdLife Schweiz erfolgreich den Bereich Artenförderung ausgebaut. Per 1. Januar 2021 übernahm Raffael Ayé nun die Geschäftsführung des Verbands. Im Interview erzählt er, was ihn bewegt und welche Ziele er sich für die kommenden Jahre gesetzt hat.

Am 1.1.2021 hast du dein neues Amt als Geschäftsführer von BirdLife Schweiz angetreten. Jetzt hast du Gelegenheit, dich kurz vorzustellen. Wer bist du, Raffael Ayé?
In meinem Twitter-Profil habe ich mich als «Vogelbeobachter, Naturliebhaber und Naturschützer von A (Afghanistan) bis Z (Zwitzerland, sozusagen) bezeichnet. Das fasst es kurz zusammen.

Wie kam es, dass von der Humanmedizin in die Ornithologie und den Naturschutz gewechselt hast?
Da liegt wohl ein Missverständnis vor: Ich bin Ornithologe und Naturschützer seit meiner Kindheit. Die Ornithologie hat mich irgendwann in den Iran und zur persischen Sprache gebracht, das Persische brachte mich nach Tadschikistan. Zwei Kollegen hatten die Idee, ein Bestimmungsbuch der Vögel Zentralasiens zu schreiben, und ich stieg in dieses Projekt ein. Dann ergab sich am Schweizerischen Tropeninstitut die Möglichkeit, eine Dissertation über Tuberkulose mit Feldarbeit in Tadschikistan zu schreiben. Parallel dazu konnte ich Projekte in Epidemiologie, Naturschutz und Ornithologie bearbeiten. Als ich zurückkam, war eine Stelle bei BirdLife Schweiz in der Artenförderung frei. Und ich bin bei BirdLife geblieben. Die Vögel haben mich also durch die halbe Welt und durch mein bisheriges Leben geführt.

Wirst du die Projektarbeit in der Artenförderung vermissen?
Ja, die Arbeit im Feld, mit den vielen Partnern, mit den Landwirtinnen und Landwirten wird mir sicher manchmal fehlen. Andererseits haben wir ja die Abteilung Artenförderung bei BirdLife Schweiz in den letzten zehn Jahren kontinuierlich ausgebaut. Schon in diesen Jahren hat sich meine Arbeit weg von der Feld- und hin zu mehr Büroarbeit entwickelt. Das gefällt mir gut, solange es zugunsten der Natur ist.

Mit welchem Gefühl hast du deinen Start in neuer Funktion angetreten?  
Die Herausforderungen im Naturschutz sind in der Schweiz gewaltig. Im Vergleich zu diesen riesigen Aufgaben sind unsere Ressourcen und auch die Zahl und Kraft unserer Mitglieder noch gering. Die Biodiversitätskrise wird immer sichtbarer und dadurch nimmt unweigerlich auch das Bewusstsein für die Biodiversität in der Bevölkerung zu. Aber es bleibt eine frustrierende Lücke zwischen Herausforderungen und Möglichkeiten. Davor habe ich grossen Respekt.

Du trittst in die (grossen) Fussstapfen von Werner Müller; die Erwartungen der BirdLife-Familie, der Partner (und Gegner) an dich sind hoch und vielfältig. Wie gehst du damit um?
Ich bin mir der sehr unterschiedlichen und grossen Erwartungen an BirdLife Schweiz sehr bewusst. Aber man darf das positiv sehen: BirdLife hat offenbar einen guten Ruf, dass man so hohe Erwartungen an unseren Verband hat. Und dann gilt es zu unterscheiden zwischen berechtigten und realistischen Erwartungen, die wir wenn möglich erfüllen wollen, und Erwartungen, die entweder nicht berechtigt oder nicht realistisch sind. Und dies müssen wir ansprechen und klären. Aufgrund der beschränkten Ressourcen müssen wir auch Verzichtsplanungen machen, selbst wenn das schmerzhaft ist.

Was wird sich für die Kantonalverbände, Sektionen und Landesorganisationen ändern?
Die Verbandsstruktur mit Sektionen in den Gemeinden, Kantonalverbänden, Landesorganisationen, BirdLife Schweiz und dann noch der weltweiten Partnerschaft mit BirdLife International ist eine ganz grosse Stärke von BirdLife. Dieses Potenzial gilt es noch besser zu nutzen. Ich habe deshalb in den letzten Monaten bereits eingeleitet, dass wir unsere Kampagne «Ökologische Infrastruktur – Lebensnetz für die Schweiz» in engerem Kontakt mit den Mitgliedorganisationen bearbeiten können. Die Projektleiterin Ökologische Infrastruktur wird mehr Zeit für den persönlichen Kontakt, den fachlichen Austausch und die gemeinsame Arbeit zur Verfügung haben, als wir dies bei den letzten Kampagnen hatten. Auch in anderen Bereichen ist die enge Zusammenarbeit im Verband wichtig. Ich persönlich möchte mir so oft wie möglich die Zeit freischaufeln, um den direkten Austausch zu pflegen und unsere Zusammenarbeit weiter zu stärken.

Welche Ziele hast du dir für die nächsten Jahre gesetzt?
Natürlich möchte ich mit BirdLife möglichst viel für die Natur erreichen. Dazu braucht es starke Naturschutzorganisationen. Alle sprechen von Mitgliederschwund und Vereinssterben. Ich hoffe, dass es uns gelingt, entgegen diesem Trend weiterhin langsam aber sicher zu wachsen. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen darüber zu informieren, wie es um die Natur in der Schweiz steht, wie bedrohlich die Biodiversitätskrise werden kann – und dass sie als Mitglied in einem Naturschutzverein aktiv etwas dagegen tun können. Und vielleicht gelingt es uns auch, weitere bestehende Vereine vom Beitritt zu BirdLife zu überzeugen.

Welche Arbeitsschwerpunkte für BirdLife Schweiz planst du für die nächsten Monate und Jahre?
Mit der Umsetzung der Kampagne «Ökologische Infrastruktur – Lebensnetz für die Schweiz» haben wir bereits begonnen. Sie soll in allen Arbeitsbereichen von BirdLife eine Rolle spielen. Viele andere wichtige Arbeiten von BirdLife wie Sensibilisierung, Bildung, Artenförderung und fachliche Analysen werden weiter gepflegt. Zudem gilt es, die Strukturen der Geschäftsstelle zu stärken. Diese ist über Jahrzehnte gewachsen und zählt heute 30 Mitarbeitende, die sich auf rund 20 Vollzeitstellen verteilen.

Für deinen Vorgänger stand auf nationaler Ebene in den letzten 20 Jahren vor allem die politische Arbeit im Zentrum. Wirst du ebenfalls oft im Bundeshaus anzutreffen sein?
Die Biodiversität ist ein bedrohtes Allgemeingut. Und der Erhalt von Allgemeingütern ist der klassische und klare Fall einer Staatsaufgabe. Damit wird die Politik natürlich auch in Zukunft eine grosse Rolle spielen. Das parteiübergreifende Co-Präsidium hat mich zum Sekretär der Parlamentarischen Gruppe «Biodiversität und Artenschutz» ernannt. Ich werde also auch viele Aufgaben in und um das Bundeshaus wahrnehmen. Der Austausch mit Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher Couleur ist spannend und wichtig.

Wo ortest du aktuell die grössten Herausforderungen im Naturschutz und für die Erhaltung der Biodiversität? Wo siehst du neue Chancen?
Die Schweiz hat von allen europäischen Ländern den geringsten Anteil an Schutzgebieten. Wir brauchen dringend eine gute Ökologische Infrastruktur. Die Schweizer Landwirtschaftspolitik ist ein Schlamassel. Öffentliche Gelder werden für unzählige, teilweise widersprüchliche Ziele ausgegeben – aber nur ein geringer Teil davon für die Biodiversität. Darunter leiden die Artenvielfalt, die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme und nicht zuletzt auch die Glaubwürdigkeit der Schweizer Landwirtschaft und damit jene der Bäuerinnen und Bauern. Eine schlechte Politik ist eine versteckte Chance: Das kann zu Win-win-Situationen umgestaltet werden. Und dann möchte ich bei den Chancen die Klimajugend erwähnen. Wie oft hat man die Klage über die politisch uninteressierte Jugend gehört – fast so eloquent wie Sokrates über die damalige Jugend klagte. Doch die Klimajugend zeigt: Viele junge Leute sind sehr politisch, sie nehmen die Klima- und Biodiversitätskrise wahr und engagieren sich für entsprechende politische Verbesserungen. Das stimmt mich optimistisch.