Medienmitteilung des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz vom 27. April 2010
Der Bund schwächt den Schutz eines der wichtigsten Naturschutzgebiete der Schweiz, des Fanel am Neuenburgersee, durch die Erteilung einer Bewilligung zum Eingreifen in der Brutkolonie der Kormorane während der Brutzeit. Für die Naturschutzorganisationen löst diese Bewilligung die Probleme der Berufsfischer am Neuenburgersee keineswegs. Denn diese haben mit dem Kormoran gar nichts zu tun. Die Anzahl der Nester der Kormorane auf der Insel hat sich gegenüber dem Vorjahr sogar bereits natürlicherweise um gegen die Hälfte reduziert. Der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und Pro Natura machen mit Unterstützung des Schweizer Tierschutz STS sowie Berner Ala und Nos Oiseaux daher Rekurs gegen die Bewilligung des Bundes.
«Der Entscheid des BAFU, welcher die Kantone ermächtigt, Nester und Eier des Kormorans zu zerstören und Zäune aufzustellen und dies in einem der bestgeschützten Gebiete der Schweiz, ist inakzeptabel“, sagt François Turrian, Stellvertretender Geschäftsführer des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz. Das Fanel hat mehrfache kantonale, nationale und internationale Bedeutung. Es beherbergt die grösste Konzentration an Vögeln der Feuchtgebiete in der Schweiz und eine grosse Anzahl geschützter und prioritärer Arten. Daher haben die Schutzorganisationen einen Rekurs beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Bewilligung eingereicht, welcher die Entscheidung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) auf die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht überprüfen soll.
Immer mehr Zugeständnisse an die Naturnutzer
Diese Bewilligung bestätigt eine bereits auch in anderen Bereichen vorliegende Tendenz des BAFU. «Der Bund gibt den Anliegen der Naturnutzer immer mehr Gewicht. Nur um die Gemüter der Fischer zu beruhigen, bewilligt das BAFU einen Eingriff, der keine Schäden verringern wird, aber bedrohte Vogelarten gefährdet», kritisiert Urs Tester von Pro Natura.
Der Kormoran verursacht keine untragbaren Schäden
Die Verordnung der Wasser- und Zugvogelgebiete von nationaler und internationaler Bedeutung sagt klar, dass Eingriffe nur möglich sind, wenn «untragbare Schäden» vorliegen. «Eine detaillierte Recherche aller Fakten im Zusammenhang mit den dem Kormoran zugeschriebenen Schäden ergab, dass nur ein kleiner Teil davon der Kormorankolonie am Fanel zugeschrieben werden kann», erläutert Werner Müller, Geschäftsführer des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz. Die von den Berufsfischern genannten Schäden im Betrag von Fr. 5000.– pro Jahr werden auch von anderen Tieren wie den Hechten verursacht oder stammen von Wintergästen. Ein Eingriff in die Kormorankolonie würde also die Situation für die Berufsfischer nicht verbessern.
Ausserdem führen die Zerstörung von Nestern und Eiern und das Aufstellen von Zäunen zu einer gravierenden Störung während der sehr sensibeln Zeit des Brutgeschäftes von gefährdeten Vogelarten und verstösst damit gegen die oben erwähnte Wasservogelreservats-Verordnung. Die regionalen Organisationen, Berner Ala und Nos Oiseaux, welche das Gebiet ehrenamtlich betreuen, verurteilen daher dieses Vorgehen wie Michel Beaud, Vorstands-mitglied von Nos Oiseaux, unterstrich.
Die Naturschutzorganisationen begrüssen hingegen, dass das BAFU einzig Schäden am Material der Berufsfischer geltend macht. Denn der Kormoran ist keine Gefahr, weder für bedrohte Fischarten, noch für die Fischerträge, welche am Neuenburgersee zum Beispiel beim Brotfisch der Berufsfischer, den Felchen, ansteigen.
Natürliche Verkleinerung der Kormorankolonie 2010
Nachdem die Anzahl Brutpaare der Kormorane am Fanel bereits in den letzten Jahren nur noch leicht zugenommen hat, konnte dieses Jahr erstmals natürlicherweise ein deutlicher Rückgang auf gegen die Hälfte der Population festgestellt werden. Dies ergab eine Zählung der Nester, welche am 21. April 2010 durchgeführt wurde. Die Populationen einer Art regulieren sich in der Regel selber.
Die nationalen und regionalen Natur- und Vogelschutzorganisationen erwarten, dass die Behörden alle diese Fakten zur Kenntnis nehmen und keine Eingriffe in national und international bedeutenden Wasservogelreservaten planen. Die Organisationen sind durchaus bereit, den Berufsfischern entgegen zu kommen. Sie wenden sich deshalb nicht gegen eine Abwehr von Kormoranen direkt an den Netzen. Zudem könnten sie sich einen erneuten Vorstoss auf politischer Ebene vorstellen, damit den Berufsfischern Schäden an ihren Netzen entschädigt werden können.