Position von BirdLife Schweiz – April 2022
Dieses Feld könnte auch der Produktion von Getreide dienen, das direkt der menschlichen Ernährung zugute kommt – und der Förderung der Biodiversität. Bild © Mathias Schäf
Der Krieg des Kremls gegen die Ukraine erschüttert. Man fühlt sich in die Zeiten des Kalten Krieges zurückversetzt. Verständlicherweise wachsen Befürchtungen hinsichtlich der Versorgungssicherheit mit Energie und Nahrungsmitteln. Gegen diese kommen nun leider auch Rezepte aus der Zeit des Kalten Krieges oder von noch früher auf. Eine neue Anbauschlacht und die Intensivierung der Produktion sollen angeblich unsere Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln und insbesondere Getreide erhöhen. Dabei wird komplett ausgeblendet, dass gerade die einseitige Intensivierung und Industrialisierung der Produktion unsere Versorgungssicherheit gefährden. Mittel- und langfristig können wir diese nur durch eine Ökologisierung der Produktion und des Konsums erreichen. Das ist eine grosse Aufgabe, die Landwirtschaft, KonsumentInnen und Politik gemeinsam stemmen müssen.
Die Schweizer Landwirtschaft ist grösstenteils sehr intensiv. Sie ist zudem industriell in dem Sinne, dass menschlicher Arbeitseinsatz soweit möglich reduziert wurde. Von Seiten der Permakultur gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass auf derselben Fläche deutlich mehr Nahrung mit deutlich weniger ökologischen Schäden produziert werden kann. Die hohen Kosten für Arbeit und die tiefen Kosten für fossile Energieträger, Mineraldünger und weitere Ressourcen verhindern jedoch einen Wandel hin zu solchen Methoden.
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«Aus mehreren Gründen ist eine zukunftsgerichtete Reform und Ökologisierung der Landwirtschaft unabdingbar.» |
Aus mehreren Gründen ist aber eine zukunftsgerichtete Reform und Ökologisierung der Landwirtschaft unabdingbar.
Erstens ist die intensive landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz in hohem Masse vom Ausland abhängig. Ohne fossile Energieträger, Mineraldünger und Futtermittel, die wir in grossem Umfang aus dem Ausland importieren, funktioniert die Produktion in der heutigen Form nicht. Zweitens führt das heutige Produktionssystem in eine Sackgasse. Die Schweizer Landwirtschaft verursacht rund einen Siebtel aller hiesigen Treibhausgas-Emissionen. Sie ist zudem in einem Modell gefangen, das die Böden vielerorts stark schädigt und zu einem massiven Rückgang der Insekten sowie der durch sie erbrachten Ökosystemleistungen führt.
Vielfach wird argumentiert, diese ökologischen Schäden seien für die Ernährung der Schweiz unumgänglich. Dem ist aber nicht so. Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz lässt sich durchaus mit ökologischen Massnahmen erhöhen. So werden jährlich Unmengen qualitativ einwandfreier Lebensmittel noch auf dem Acker, in der Verarbeitung, im Verkauf oder Gastgewerbe und in Privathaushalten entsorgt. Insbesondere ästhetische Ansprüche, administrative Anforderungen und die tiefen Preise für Nahrungsmittel spielen hier eine Rolle. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass ein substanzieller Teil der Schweizer Ackerfläche nicht der direkten Ernährung von Menschen, sondern der Produktion von Futtermitteln für Tiere dient. Der hohe Konsum tierischer Produkte ist langfristig nicht aufrechtzuerhalten. Nach wie vor steckt die Politik aber weitaus mehr Subventionen in die tierische als in die pflanzliche Produktion. Fleischersatzprodukte sind ein Wachstumsmarkt, die Schweiz hinkt hier hinterher. In der Schweiz mit dem hohen Anteil an Grünland hat die Tierhaltung durchaus auch in Zukunft einen wichtigen Platz – es gibt sogar Trockenwiesen und Steilhänge, an denen ein leicht höherer Tierbestand als heute für den Erhalt der Biodiversität notwendig ist. Aber Ackerflächen müssen der direkten menschlichen Ernährung und der Biodiversitätsförderung dienen, nicht einem überhöhten Tierbestand. Die Förderung der Biodiversität ist dabei kein Widerspruch zur Versorgungssicherheit – im Gegenteil: Sie ist zur Sicherung der Ökosystemleistungen und damit für eine echte Versorgungssicherheit unentbehrlich.
Politik, Stimmvolk, Konsumentinnen und Konsumenten, Landwirtschaft und Naturschutz müssen sich dieser grossen Aufgabe gemeinsam stellen. Für die Bäuerinnen und Bauern ist die Umstellung zwar eine Herausforderung, sie bietet aber auch Chancen. Fair abgegoltene Leistungen im Bereich Biodiversitätsförderung, Klimaschutz und ökologische Produktion können dem Bauernstand eine bessere Zukunftsperspektive bieten.