Neue Rote Liste der Vögel Europas: ein Handlungsaufruf

Medienmitteilung von BirdLife Schweiz vom 14.10.2021

BirdLife International hat die neuste Revision der Europäischen Roten Liste der Vögel veröffentlicht, die zeigt, dass fast jede fünfte Vogelart europaweit bedroht ist. Am stärksten gefährdet sind die Vögel des Kulturlandes und der Meere. Für BirdLife sind die neusten Zahlen Ausdruck dafür, dass der Mensch die Natur nach wie vor zu wenig nachhaltig nutzt. Im Rahmen der UNO-Dekade 2021 bis 2030 zur Wiederherstellung von Ökosystemen sind nun europa- und landesweit rasch Verbesserungen nötig.

Wie geht es den Vögeln auf europäischer Ebene? Welche sind in den letzten Jahren zurückgegangen, welche häufiger geworden? Dies zeigt die revidierte Rote Liste der Vögel Europas, die jetzt von BirdLife International im Auftrag der IUCN herausgegeben wurde. Auf der Liste sind alle 554 Vogelarten vertreten, die in Europa regelmässig vorkommen. Die Ergebnisse basieren auf Daten, die Tausende Experten und Freiwillige aus 54 Ländern zusammengetragen haben, von Grönland bis Malta und von den Azoren bis zum Kaukasus und Uralgebirge. Zusätzliche Quellen wie wissenschaftliche Berichte, nationale Atlanten und Fachliteratur wurden ebenfalls herangezogen und bei dieser Zusammenarbeit von BirdLife Europe, BirdLife Central Asia und BirdLife International mit in die neue Rote Liste eingearbeitet.

Die Rote Liste zeigt: Auf europäischer Ebene sind inzwischen 13 % (71 Arten) aller Vogelarten bedroht. Davon gelten etwa 2 % als «vom Aussterben bedroht», 3 % als «stark gefährdet» und fast 9 % als «gefährdet». Weitere 6 % (34 Arten) sind potenziell bedroht und stehen damit auf der Vorwarnliste. Damit fällt jeder fünfte Vogel Europas in eine der Gefährdungskategorien. Dies erhöht sich sogar auf insgesamt jede vierte Vogelart, wenn man nicht das geographische Europa, sondern nur die EU-Mitgliedsstaaten betrachtet. Fünf auf unserem Kontinent ehemals vorkommende Arten sind inzwischen europaweit ausgestorben, darunter das Laufhühnchen und das Steppenflughuhn.

Entwicklung in den Lebensräumen

Ein Vergleich zwischen den wichtigsten Lebensraumtypen in Europa zeigt, dass Acker- und Grünland die höchste Anzahl an bedrohten und potenziell bedrohten Arten aufweisen, dicht gefolgt von Meereslebensräumen und Binnenfeuchtgebieten. Aber selbst, wenn eine Vogelart noch nicht in eine Gefährdungskategorie aufgenommen ist, kann ihre Population bereits abnehmen. In diesem Fall hat sie den Schwellenwert für eine Hochstufung nur noch nicht erreicht. Besorgniserregend ist, dass in den zuvor genannten Lebensräumen mindestens ein Drittel der Arten abnehmende Populationstrends aufweisen.

Ursachen für fortgesetzten Artenschwund bestätigt

Die Ergebnisse bestätigen damit die Schlussfolgerungen aus anderen Studien (EU 2013-2018 oder IPBES 2019). Grossflächige Landnutzungsänderungen und die Intensivierung der Landwirtschaft, der Ausbau der Infrastrukturen, die Übernutzung der Meeresressourcen, die Verschmutzung der Binnengewässer und nicht nachhaltige forstwirtschaftliche Praktiken sind die Hauptursachen für den Rückgang der Vogelpopulationen in Europa. Am grössten sind die Probleme im Landwirtschaftsland. Das Pan-European Common Bird Monitoring Scheme, ein europäisch organisiertes Monitoringprogramm, zeigt einen Rückgang von 57 % bei häufigen Kulturlandvögeln zwischen 1980 und 2018. Die anhaltenden Bestandsrückgänge und die Verringerung des Verbreitungsgebiets weit verbreiteter Arten offener Lebensräume – wie Lerchen, Würger und Ammern – verdeutlichen die negativen Auswirkungen des Verschwindens von kleinräumigen, strukturierten Landschaften, von Überdüngung und übermässigen Pestizideinsatz.

37 Arten in höherer Gefährdungsstufe, 47 Arten besser eingestuft

Neben den schlechten Nachrichten gibt es aber auch Lichtblicke. Während 30 % der europäischen Vögel einen rückläufigen Populationstrend zeigen, nehmen 21 % zu. Besser als früher geht es zum Beispiel dem Rotmilan, der von der Vorwarnliste entfernt werden konnte. Weitere 46 Arten wurden ebenfalls besser eingestuft. Allerdings ist bei der Hälfte dieser Arten ein Bestandsrückgang nicht gestoppt, sondern lediglich verlangsamt.

Von Global zu lokal

Gut ein Fünftel (103 Arten) der Vögel in Europa sind endemisch oder beinahe endemisch, kommen also nur hier vor. Von diesen fallen gut ein Viertel in eine der Gefährdungskategorien. Wir haben daher eine hohe Verantwortung für den Erhalt dieser Arten. Die Daten der Europäischen Roten Liste der Vögel Europas sagen zwar sehr viel über den Zustand der Avifauna auf unserem Kontinent aus, aber nicht unbedingt über den Zustand der globalen Vogelpopulationen. So gibt es durchaus Vogelarten, die zwar auf der Europäischen Roten Liste stehen, die aber global nicht gefährdet sind. Die IUCN führt deswegen auch eine globale Rote Liste (siehe MM vom 21.11.2018). Im Umkehrschluss macht die Europäische Rote Liste keine Aussagen über den Zustand der Schweizer Vogelwelt. Die nationale Rote Liste zeigt, dass der Anteil der gefährdeten Arten in der Schweiz höher ist als auf europäischer Ebene: 39 % der Brutvögel der Schweiz stehen auf der Liste. Weitere 16 % sind potenziell gefährdet (Rote Liste Brutvögel 2010). Bald wird eine Aktualisierung der Roten Liste der Vögel der Schweiz erscheinen, sodass die Entwicklung der letzten 10 Jahre auch hier nachvollzogen werden kann. Der Vergleich mit der europäischen List zeigt schon jetzt: die Schweiz ist in Sachen Naturschutz schon lange kein Musterschüler mehr, der akute Handlungsbedarf ist gross.

UNO-Dekade 2021 – 2030 zur Wiederherstellung von Ökosystemen

«Die Ergebnisse belegen, dass wir unser Land, unsere Gewässer und unsere Meere immer noch nicht nachhaltig bewirtschaften und sich die Zerstörung unserer Lebensgrundlage fortsetzt», sagt Raffael Ayé, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. Die UNO-Dekade 2021 bis 2030 steht im Zeichen der Wiederherstellung von Ökosystemen. Da Vögel verschiedenste Rollen in unterschiedlichsten Ökosystemen spielen, dienen sie als Schlüsselindikatoren für den Zustand unserer Umwelt. Wir müssen daher den fortgesetzten Rückgang vieler einst häufiger Vogelarten als Appell sehen, um nun europa- und landesweit rasch für die nötigen Verbesserungen zu sorgen. Eine grosse Chance besteht dabei in der Ökologischen Infrastruktur für die Schweiz, einem kohärenten Netz aus Schutz- und Vernetzungsgebieten. Sie soll gewährleisten, dass in den nächsten Jahrzehnten bestehende Schutzgebiete erhalten und ausgeweitet und neue Gebiete dazugewonnen und wiederhergestellt werden. Dabei ist es wichtig, dass sich alle Sektoralpolitiken des grossen Handlungsbedarfs bewusstwerden und Hand bieten, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen, sodass endlich die nötige Dynamik für Massnahmen zum Schutz unserer Lebensgrundlage entwickelt werden kann.

Weitere Informationen:

BirdLife Schweiz: gemeinsam für die Biodiversität – lokal bis weltweit

BirdLife Schweiz engagiert sich mit Herzblut für die Natur. Mit 67'000 Mitgliedern, 450 lokalen Sektionen, Kantonalverbänden und weltweiten BirdLife-Partnern ist BirdLife Schweiz Teil des weltweit grössten Naturschutz-Netzwerks, BirdLife International – in der Gemeinde verwurzelt, weltweit wirksam. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern setzen wir uns für die Biodiversität ein. Wir führen zahlreiche Schutzprojekte für gefährdete Arten und ihre Lebensräume durch, vom Steinkauz über den Eisvogel bis zur Ökologischen Infrastruktur. Mit den BirdLife-Naturzentren, der Zeitschrift Ornis und vielfältigen BirdLife-Kursen machen wir die Natur hautnah erlebbar und motivieren zu ihrem Schutz. Gemeinsam mit Ihnen? Erfahren Sie mehr und werden Sie Teil des BirdLife-Netzwerks: www.birdlife.ch

 


Bilder

Die Bestandrückgänge (-36 %) der Bekassine sind so stark, dass sie die Kategorie «potentiell gefährdet» übersprungen hat und direkt als «gefährdet» eingestuft wurde. Als Brutvogel ist sie in der Schweiz so gut wie ausgestorben.

Foto: Michael Gerber

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Auch weit bekannte Arten wie der Mauersegler nehmen europaweit in ihren Beständen ab, weshalb sie neu in die Rote Liste aufgenommen wurden. Deshalb ist es wichtig, die Lebensraumansprüche diese Art im Zuge von Renovationen oder Neubauten zu berücksichtigen, Nistplätze zu erhalten oder neue zu schaffen.

Foto: Michael Gerber

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Auskünfte

Auskünfte erteilt Stefan Greif, BirdLife Schweiz, Tel 077 510 56 22, stefan.greif@birdlife.ch