Revision des Jagd- und Schutzgesetzes: Worum geht es?

Medienmitteilung vom 6. Mai von BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz

Am 8. Mai steht in der Sondersession des Nationalrats die Debatte über die Revision des Jagd- und Schutzgesetzes (JSG) an. Wir haben aus der reichlich komplizierten Vorlage die substanziellen Punkte zusammengefasst:

1. Werdegang der Revision
Das geltende Jagd- und Schutzgesetz (JSG) kann als austariert bezeichnet werden: Das  Dreieck «Schutz, Regulierung und Jagd» hat sich bewährt. Den Anstoss zur Revision des geltenden Gesetzes gab insbesondere die Motion des Bündner Ständerates Stefan Engler (14.3151) „Zusammenleben von Wolf und Bergbevölkerung“. Die Motion verlangt vom Bundesrat einen Entwurf für die Anpassung des Jagdgesetzes «zum Zwecke der Bestandsregulierung bei Wolfspopulationen» vorzulegen. Die moderate Motion fand in beiden Räten eine Mehrheit, und auch Naturschutzorganisationen konnten die Motion akzeptieren. Sie erhofften sich zudem, dass mit einer Revision des JSG die Jagdbarkeit von Arten der Roten Liste (bspw. Birkhahn, Alpenschneehuhn, Waldschnepfe, Feldhase) endlich der Vergangenheit angehören würde.

Fünf Jahre später, im Mai 2019 und vor der Debatte im Zweitrat, ist aus der Motion Engler eine stark befrachtete und umstrittene Gesetzesrevision erwachsen. Zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie Organisationen, die sich von der Motion Engler eine Entspannung und Versachlichung der Diskussion rund um den Wolf erhofft hatten, erkennen im vorliegenden Gesetzesentwurf den Geist der Motion Engler nicht mehr: Statt den Kantonen mehr Handlungsspielraum im Umgang mit dem Wolf zu geben, höhlt der vorliegende Gesetzesentwurf generell den Schutz gefährdeter Tierarten in der Schweiz aus und stellt die Nutzer- klar über Schutzinteressen. Es ist daher von einem eigentlichen Paradigmenwechsel in der Legiferierung die Rede. Das Gesetz ist komplizierter statt stringenter geworden, bislang als wichtig erachtete Bundeskompetenzen wurden an die Kantone abgetreten – und die Konflikte rund um den Umgang mit geschützten Arten dürften künftig durch das neue Gesetz nicht ab- sondern massiv zunehmen.

2. Inhaltliche und formale Wertung
Die auf dem Tisch liegende Gesetzesvorlage geht über das ursprüngliche Mandat weit hinaus. Chancen zum besseren Schutz von bedrohten Arten wurden hingegen verpasst:

  • Die Regulierung der Bestände geschützter Tierarten wird vom Bund zu den Kantonen übergehen (Art. 7a, Abs. 1) und wird damit zunehmend (lokal-)politischen Druckversuchen ausgeliefert sein. Ein schweizweit, geschweige denn international koordiniertes Management raumgreifender Arten wie Wolf oder Luchs wird verunmöglicht.
  • Abschüsse „auf Vorrat“ sind neu möglich, d.h. ohne dass Tiere je Schäden angerichtet hätten (Art.7a Abs 2 lit. b) – man wird z.B. Wölfe oder Graureiher und Gänsesäger künftig abschiessen dürfen, „einfach weil es sie gibt“.
  • Die Liste regulierbarer geschützter Arten kann künftig jederzeit durch den Bundesrat erweitert werden (Art.7a Abs 2 lit. c) – d.h. ohne Mitsprache von Volk und Parlament.
  • Das Beschwerderecht wird teilweise aufgehoben (Art. 5, Abs. 7) und damit ein wichtiges Instrument der demokratischen Kontrolle der Entscheide der Jagdbehörden auf ungerechtfertigte Weise aufgehoben. Entscheide kantonaler Jagdbehörden bei jagdbaren Arten können damit nicht mehr wie bisher wenn nötig von Gerichten überprüft werden. Wenn das BAFU die einzige Instanz ist, welche noch Rekurs machen kann, werden bei nicht erfolgten Rekursen Aufsichtsbeschwerden gegen das BAFU massiv zunehmen.
  • Der Schutz zahlreicher weiterer geschützter Arten (z.B. Biber, Fischotter, Luchs, Mittelmeermöwe, Höckerschwan…) wird durch das Zusammenspiel der Artikel  7a Abs. 1, Art. 7a Abs. 2 lit. b und Art. 7a Abs. 2 lit. c ausgehöhlt, indem künftig eine beliebige Nutzergruppe (Landwirtschaft, Fischzüchter/Fischer, Jäger usw.) nur „genug Lärm“ machen muss, damit der Bundesrat unter dem politischen Druck – wie schon beim Wolf – einknickt und diese eigentlich geschützten Arten für regulierbar erklärt. In der Folge können die Bestände dieser Tierarten allein durch die Kantone reguliert (resp. dezimiert) werden – und zwar ohne dass sie überhaupt je konkrete Schäden einer gewissen Höhe angerichtet hätten. Hinzu kommt, dass die Nutzerseite künftig nicht einmal mehr verpflichtet ist, zumutbare Schutzmassnahmen gegen allfällige Schäden zu ergreifen (Art. 7a Abs. 2 lit. b).
  • Bedrohte, auf der Roten Liste geführte Arten wie Feldhase, Birkhahn, Schneehuhn oder Waldschnepfe können weiterhin bejagt werden (Art. 5, Abs. 1). Es handelt sich hierbei um eine reine Trophäen- respektive „Traditionsjagd“, die wildbiologisch nicht begründet werden kann. Dass diese gefährdeten Arten nicht endlich unter Schutz gestellt wurden, ist eine verpasste Chance für den Artenschutz im Jagd- und Schutzgesetz JSG und ein weiterer Kniefall vor den Interessen der Nutzerseite.

 
3. Wildtiere und die Kantonsgrenzen (Art. 7a, Abs. 1)
Laut der Bundesverfassung ist der Bund für den Artenschutz zuständig. Noch anlässlich der Revision der Jagdverordnung führte der Bundesrat 2012 nicht weniger als sechs Gründe auf, weshalb die Zuständigkeit bei Ein¬griffen in Bestände geschützter Tierarten Bundessache sein muss. In Widerspruch dazu soll die Hoheit nun plötzlich an die Kantone übergehen. Der Bund wird künftig bei geplanten Regulierungsmassnahmen gegen Bestände geschützter Tierarten nur noch angehört (Art. 7a, Abs. 1). Die Kantone können jedoch schon heute über den Abschuss geschützter Einzeltiere entscheiden und sie können – einfach mit Zustimmung des Bundes – sogar heute schon Bestände regulieren. Die heute geltende Zustimmung des Bundes erlaubt eine koordinierte Regulierung. Ohne sie wird ein nachhaltiger Schutz seltener Arten über Kantons- und Landesgrenzen hinweg verun¬möglicht. Wildtiere kennen aber keine politischen Grenzen! Dass in allen Kantonen die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen für Monitoring und Regulierung geschützter Arten vorhanden sind, muss zudem bezweifelt werden. Die Gesetzesrevision kann unter Druck zu „Schnellschüssen“ von Kantonen im Umgang mit geschützten Tierarten führen.  Beschwerden von Seiten Bund und Verbänden werden sich (wo sie letzteren denn überhaupt noch möglich sind) häufen – also das Gegenteil dessen, was die Revision ursprünglich bezweckte!

4. Legiferierung und Regulierung auf Vorrat (Art.7a Abs 2 lit. b)
Der Entwurf weitet die Gründe für die Bestandsregulierung geschützter Arten stark aus. Abschüsse „auf Vorrat“ würden möglich – also Abschüsse einer namhaften Anzahl Tiere einer geschützten Art, ohne dass diese je Schäden angerichtet hätten und ohne dass zuvor die nötigen Präventivmassnahmen ergriffen wurden (Art.7a Abs 2 lit. b). Dies hätte zur Folge, dass bereits „wahrscheinliche“ Schäden als Grund zur Bestandsregulierung von geschützten Arten gelten.

5. Mehr geschützte Tierarten könnten quasi jagdbar werden (Art.7a Abs 2 lit. c)
Dem Bundesrat soll ermöglicht werden, neben den im Gesetz bereits gelisteten Arten (im aktuellen Entwurf Wolf, Steinbock, Graureiher, Gänsesäger) auf dem Verordnungsweg weitere geschützte Arten (z.B. Luchs, Biber, Fischotter, Mittelmeermöwe, Steinadler, Höckerschwan…) als regulierbar zu erklären. Immer mehr geschützte Arten laufen Gefahr, auf diese Weise analog heute dem Steinbock „quasi jagdbar“ zu werden. Welche Arten ins Visier gelangen, wird nur mehr eine Frage des Drucks verschiedener Interessengruppen sein.

6. Rückweisung an den Bundesrat (Minderheit Semadeni) als Grundlage für ein Gesetz mit Augenmass
Die Gesetzesrevision schiesst weit über das Ziel hinaus. Sie ist zu einer Legiferierung auf Vorrat und zur Besänftigung lauter Minderheiten in ausgewählten Regionen verkommen und ist daher zurückzuweisen. Dazu ist die Rückweisung eine Chance: Sie verlangt, dass die Motionen Engler (14.3151, Wolf) und Niederberger (15.3534, Höckerschwan) ohne proaktive Regulierungsmassnahmen umgesetzt werden. Auf eine Ausweitung der Regulierung auf weitere geschützte Tierarten wird verzichtet und die heutige Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen beibehalten. So würde ein Gesetz mit Augenmass geschaffen.
  


Kontakt/Auskünfte

Sara Wehrli, Pro Natura, 061 317 92 08, sara.wehrli@pronatura.ch
Werner Müller, BirdLife Schweiz, 079 448 80 36, werner.mueller@birdlife.ch
Myriam Stucki, Corporate Communications, WWF Schweiz, 044 297 22 72, myriam.stucki@wwf.ch