Position von BirdLife Schweiz – Oktober 2023
Auenrenaturierung im Peenetal, Deutschland. © Chron-Paul/Wikimedia
Ende Mai publizierte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) den Bericht «Biodiversität in der Schweiz». Er zeigt: Insgesamt ist die Biodiversität, unsere Lebensgrundlage, in der Schweiz in einem schlechten Zustand. Die Situation ist gar so schlecht, dass die Ökosystemleistungen nicht mehr langfristig gewährleistet sind. Die gleichzeitig veröffentlichte Synthese der Roten Listen der Schweiz zeigt auf, dass im Durchschnitt aller untersuchten Organismengruppen 35 % der Arten auf der Roten Liste stehen und weitere 12 % auf der Vorwarnliste.
Das sind erschreckende Zahlen. Der Vergleich mit unseren Nachbarländern zeigt denn auch, dass die Schweiz fast durchgehend die höchsten Anteile an gefährdeten Arten hat. Keines unserer vier Nachbarländer Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich steht so schlecht da wie die Schweiz. Das stimmt auch für Deutschland, welches eine höhere Bevölkerungsdichte aufweist als unser Land. Viele Ornithologinnen und Ornithologen kennen das aus eigener Erfahrung: Jenseits der Grenze kann man oft mehr Arten beobachten als auf Schweizer Gebiet – auch Arten, die in der Schweiz gefährdet sind.
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«Betreffend Schutzgebieten ist die Schweiz das Schlusslicht Europas. Und es ist kein Fortschritt in Sicht.»Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz |
Unsere Nachbarländer stehen also in Bezug auf die Biodiversität zwar nicht gut, aber deutlich weniger schlecht da als die Schweiz. Und die EU macht gerade Druck, dass die Mitgliedstaaten den Schutz der Natur weiter verbessern: Am 12. Juli hat das EU-Parlament in Strassburg das Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) verabschiedet. Es war von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und von Parteien am rechten Rand mit einer selten zuvor gesehenen, massiven Kampagne und mit oft faktenfremden Argumenten bekämpft worden. Das Gesetz war deshalb kurz vor der Abstimmung deutlich abgeschwächt worden – trotzdem sieht es nach wie vor umfangreiche Massnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen und Lebensräumen vor. Auf 20 % der gesamten Land- und Meeresfläche der EU sollen die Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Bereits vor rund drei Jahren hat die EU in ihrer Biodiversitätsstrategie das wichtige Ziel von 30 % Schutzgebieten festgesetzt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind im Naturschutz bei Weitem nicht perfekt, aber sie gehen Schritt für Schritt voran. Sie erarbeiten auch unter schwierigen politischen Vorzeichen Lösungsansätze und machen Fortschritte.
In der Schweiz dagegen herrscht seit über einem Jahrzehnt Stillstand. Das Thema Wiederherstellung von Ökosystemen wurde in Politik und Verwaltung bisher überhaupt nicht beachtet.
Betreffend Schutzgebieten ist die Schweiz das Schlusslicht Europas, nur gut 10 % weist unser Land auf. Selbst in diesen 10 % ist die Qualität vielerorts beeinträchtigt. Und es ist kein Fortschritt in Sicht. Unter dem neuen Vorsteher des Umweltdepartements scheint die Verwaltung beim Aufbau eines wirksamen Systems von Schutzgebieten für die Biodiversität noch zögerlicher vorzugehen als bereits bisher. Der Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative, der hier Fortschritte hätte bringen sollen, wird vom Ständerat in Frage gestellt und gefährdet.
Wenn die Schweizer Natur mitbestimmen könnte, sie würde sich wohl für einen sofortigen EU-Beitritt der Schweiz aussprechen – zumindest aber für einen Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative in Form einer wirksamen NHG-Revision. BirdLife setzt sich für diese NHG-Revision und für einen wirksamen Schutz der Schweizer Biodiversität ein!