Bilanz der Schweiz bei Kunming-Montreal-Biodiversitätszielen nach einem Jahr erschreckend

Medienmitteilung von BirdLife Schweiz vom 18.12.2023

Ein Jahr nachdem fast 200 Staaten den Kunming-Montreal-Zielrahmen für die Biodiversität verabschiedet haben, ist in der Schweiz mehr Rück- als Fortschritt erkennbar. Es ist völlig unklar, wie die Schweiz die vom Gesamtbundesrat geforderten, ambitiösen Biodiversitätsziele erreichen will. Dabei geht es um den Schutz unserer Lebensgrundlagen.

Vor einem Jahr, am 19. Dezember 2022 wurde in Montreal zum Abschluss der 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention der Kunming-Montreal-Zielrahmen für die Biodiversität verabschiedet. Fast 200 Staaten verabschiedeten gemeinsam vier Oberziele und 23 Ziele, um die weltweite Biodiversitätskrise zu lindern.

Am meisten Sichtbarkeit hat in den Medien das Ziel 3 erhalten: 30% des Planeten zugunsten der Biodiversität zu schützen oder mit anderen wirksamen Massnahmen die Biodiversität dieser Flächen zu erhalten. Der globale Zielrahmen, auch unter der englischen Abkürzung GBF bekannt, enthält aber noch zahlreiche andere, mindestens ebenso wichtige Ziele, zum Beispiel das Ziel 2 zur Wiederherstellung von degradierten Ökosystemen. Die Ziele 9 bis 12 fordern nachhaltiges und biodiversitäts-freundliches Wirtschaften in allen Sektoren inklusive Landwirtschaft. Noch zu wenig wurde über das Ziel 14 berichtet. Es fordert die volle Integration der Biodiversität und ihrer vielseitigen Werte in politische Strategien, gesetzliche Regelungen sowie weitere politische Prozesse und in die volkswirtschaftliche Buchhaltung.

Die Schweiz hat in Bezug auf alle oben genannten Ziele einen sehr hohen Handlungsbedarf. So ist die Schweiz in Europa das Land mit dem geringsten Anteil an Schutzgebieten. Selbst in den bestehenden Schutzgebieten ist die Qualität oftmals ungenügend, wie Berichte und Strategien des Bundes zeigen. Es wären massive Anstrengungen durch Bund und Kantone nötig, um die Qualität bestehender Gebiete zu verbessern und rasch weitere Flächen für die Biodiversität zu sichern. Stattdessen beschäftigte sich die Verwaltung nach dem Amtsantritt des neuen Departementschefs Albert Rösti mit der Frage, ob weitere Gebietskategorien zur Schutzgebietsstatistik dazugezählt werden könnten. Eine aktualisierte Statistik hilft gefährdeten Arten, Lebensräumen und Ökosystemen jedoch nichts. Unsere Lebensgrundlagen und jene künftiger Generationen werden durch Statistik-Übungen nicht besser geschützt!
Eine Strategie für die Wiederherstellung von Ökosystemen, wie sie die EU erarbeitet hat, fehlt der Schweiz. Einzig im Bereich Gewässer macht das Gewässerschutzgesetz von 2011 klare Vorgaben. In der Umsetzung gibt es jedoch grosse Verzögerungen.

Die dringend notwendige Korrektur der Agrarpolitik zugunsten der Biodiversität wird in der Schweiz auf die lange Bank geschoben. In der Frühlingssession lehnte der Nationalrat mehrere wichtige Anträge zugunsten der Umwelt in der Agrarpolitik 22+ ab. In der Wintersession verschob das Parlament die bereits beschlossene Vorgabe von 3.5% Biodiversitätsförderflächen im Ackerland erneut um ein Jahr.

Die Integration der Biodiversität und ihrer vielseitigen Werte in alle Bereiche der Politik erfordert zuerst einmal eine Sensibilisierung aller Sektoralpolitiken. Eine gute Gelegenheit hätte sich der Schweiz mit der Durchführung der 16. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention geboten. Jedoch lehnte der Bundesrat dies ab und verweigerte damit die berühmten guten Dienste der Schweiz. Eine Vertragsstaatenkonferenz in der Schweiz hätte dem wichtigen Thema in der Schweiz Sichtbarkeit gegeben.

Nun sind Politik und Verwaltung gefordert auch ohne internationale Vertragsstaatenkonferenz das notwendige Momentum zu schaffen, um den Schutz der Biodiversität und damit den langfristigen Erhalt der überlebenswichtigen Ökosystemleistungen mit raschen und entschiedenen Massnahmen zu gewährleisten.
 

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