Schweizer Rekord bei bedrohtem Kauz

Medienmitteilung vom 13. Juni 2014

Beinahe wäre der Steinkauz in der Schweiz ausgestorben. Doch seit dem Tiefstpunkt um die Jahrtausendwende hat sich der Brutbestand in der Schweiz wieder verdoppelt und erreicht einen langjährigen Rekord von 121 Revieren! Das melden BirdLife Schweiz und seine Partner, die in allen fünf Steinkauz-Regionen der Schweiz Projekte zu seinem Schutz durchführen. Für ihre grenzüberschreitende Arbeit haben die beteiligten Naturschutzorganisationen heute die Auszeichnung der Uno-Dekade Biologische Vielfalt Deutschlands erhalten.

Biologinnen und Biologen kontrollierten in den letzten Wochen im Auftrag von BirdLife Schweiz und seiner Partner die verbliebenen Brutplätze des Steinkauzes in der Schweiz und kamen zu einem sensationellen Befund: 121 Reviere (also Brutpaare oder territoriale Sänger) zählt die Schweiz, ein Rekord seit Jahrzehnten. Der Trend, der seit den 1950er Jahren stetig nach unten zeigte, konnte endlich spürbar nach oben gedreht werden. Der Rekord beruht in erster Linie auf der Zunahme der Bestände in den Kantonen Genf, Jura und Tessin auf 61, 43 respektive 15 Reviere.

Die süsse Eule mit den scharfen Augen

Der Steinkauz ist nur etwas grösser als eine Amsel. Sein bräunliches, hell geflecktes Gefieder tarnt ihn hervorragend. Stechend gelbe Augen und weisse Augenbrauen verleihen ihm seinen Charme. Die kleine Eule bewohnt offene Kulturlandschaften mit Bäumen, wie Alleen, Eichenhaine und Hochstamm-Obstgärten. Früher wurde der Steinkauz wegen seines nächtlichen „kiwitt“-Rufs, den man auf den Tod bezogen mit „komm mit“ übersetzte, Totenvogel genannt und gefürchtet. Heute freuen sich alle, wenn sein Bestand wieder zunimmt.

Beinahe ausgestorben

Die Einzonung und Überbauung vieler Gebiete rings um die Dörfer, das Verschwinden von Einzelbäumen sowie ganzen Obstgärten, die immer grösseren Parzellen und die übermässige Düngung von Wiesen und Weiden setzten dem Steinkauz zu. Während es in den 1950er Jahren in der Schweiz wohl noch über tausend Paare gab, waren es 1980 noch etwa 185. Wie viele andere Arten des Landwirtschaftsgebiets nahm er im Bestand stark ab, und anfangs des Jahrtausends gab es in der Schweiz nur noch 50-60 Reviere. Die Art musste auf der Roten Liste in die höchste Gefährdungskategorie, „vom Aussterben bedroht“, eingestuft werden.

Mit dem Ziel, den Steinkauzbestand zu verbessern, arbeiteten zahlreiche Naturschutzorganisationen zusammen (s. Kasten „Schweizweites Netz von regionalen Projekten“). BirdLife Schweiz und verschiedene kantonale und regionale Organisationen pflanzten Bäume, legten Magerwiesen an und brachten wo nötig spezielle Nisthilfen an, in denen der Steinkauz seine Jungen aufziehen kann. Der Rekord von 121 Revieren zeigt, dass Projekte zum Schutz seltener Arten unserer Kulturlandschaft Erfolg haben können, wenn die nötigen Ressourcen bereitgestellt und Massnahmen zum Schutz dieser Arten konsequent umgesetzt werden.

Um das Überleben des Steinkauzes in der Schweiz langfristig zu sichern und die Rückeroberung des früheren Verbreitungsgebiets zu ermöglichen, müssen noch viel mehr Massnahmen ergriffen werden. Die fortschreitende Intensivierung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass sehr viele Arten des Kulturlandes bedroht sind. Um den Steinkauz und andere Arten zu erhalten, müssen die verbleibenden wertvollen Lebensräume unbedingt vor Überbauung oder landwirtschaftlicher Intensivierung geschützt werden. Und andernorts müssen zerstörte Lebensräume wiederhergestellt werden.

Einwanderung soll helfen

Heute brütet der Steinkauz in den Kantonen Genf, Jura und Tessin sowie mit einem Einzelpaar im Seeland BE/FR. Von einer Rückkehr in das ganze frühere Verbreitungsgebiet in der Nordwestschweiz und im Mittelland ist er noch weit entfernt. BirdLife Schweiz arbeitet deshalb seit 1999 mit seinen BirdLife-Partnern NABU Südbaden und LPO Alsace zusammen, wo es noch grössere Steinkauz-Vorkommen hat. Ihr grenzüberschreitendes Schutzprojekt hat heute in Binzen D die Auszeichnung der Uno-Dekade Biologische Vielfalt Deutschlands erhalten hat. Es gelang, die Steinkauzbestände in Deutschland und Frankreich nördlich von Basel stark zu vergrössern. Die Naturschützer hoffen nun auf Einwanderung von brutwilligen Steinkauz-Pärchen ins Baselbiet und Fricktal, die sich definitiv in der Schweiz niederlassen wollen.
  

Schweizweites Netz von regionalen Projekten

Kanton Genf

Im Kanton Genf übernahm die Jugendgruppe von Nos Oiseaux seit 1983 eine nationale Verantwortung, indem sie die grösste Schweizer Population des Steinkauzes durch ein Nistkastenprogramm förderte. Seit 2011 setzen die Verantwortlichen das Projekt im Rahmen des „Groupe Ornithologique du Bassin Genevois“ (GOBG) um. In Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf, Landwirten, Landeigentümern und weiteren Partnern werden neben Nistkasten auch ökologische Ausgleichsflächen gefördert. Der Steinkauz hat stark zugenommen und kommt heute wieder in 61 Paaren (bzw. territorialen Sängern) vor.

Kanton Jura

BirdLife Schweiz gründete 2002 zusammen mit Nos Oiseaux, Pro Natura Jura, der Société des Sciences Naturelles du Pays de Porrentruy und der Association pour la Sauvegarde de la Baroche die Vereinigung Chevêche Ajoie. Die Vereinigung und die Fondation Rurale Interjurassienne (FRI) haben in Zusammenarbeit mit dem Kanton Jura und dem Partnerprojekt Vergers+ der FRI über 2200 Hochstammbäume gepflanzt, etwa 40 Hektaren Grasland gezielt in den Steinkauzgebieten extensiviert und mehr als 100 Steinkauzkästen angebracht. Diese Massnahmen trugen dazu bei, den Bestand des Steinkauzes zu erhalten und allmählich zu steigern. Zudem begleitete die Vereinigung Chevêche Ajoie die Erarbeitung von Zonenplänen, um die Überbauung mehrerer wichtiger Steinkauz-Brutplätze zu verhindern. Hierzu waren auch Einsprachen notwendig. Nur so liess sich sicherstellen, dass die Gesetze zum Schutz der Natur eingehalten werden. Die Aktivitäten der Vereinigung Chevêche Ajoie haben so zur Zunahme des Steinkauzes auf 43 Reviere beigetragen.

Seeland BE/FR

Im Seeland fand 2005 überraschend ein Brutpaar des Steinkauzes zusammen und lieferte den Beweis, dass die Ansiedlung auch über grosse Distanzen gelingen kann, denn das Weibchen stammte von der Genfer Population. Der Ornithologische Verein Kerzers und BirdLife Schweiz unterstützen die Art dort mit Nistkasten und stehen weiteren Partnern bei Lebensraumaufwertungen beratend zur Seite.

Nordwestschweiz und Regio Trirhena

Im Dreiländereck haben der BirdLife Schweiz, BirdLife Aargau, die Ornithologische Gesellschaft Basel (OGB), der Basellandschaftliche Natur- und Vogelschutzverband (BNV), NABU Südbaden und die LPO Alsace (Ligue pour la Protection des Oiseaux) 1999 ein gemeinsames Projekt gestartet. Im Projekt fördern die Partner die Bestände im Elsass und Südbaden und werten den Lebensraum in der Schweiz auf, damit umherstreifende Steinkäuze sich hier wieder ansiedeln können. Dieses Projekt wurde am 13. Juni mit einem wichtigen Naturschutzpreis ausgezeichnet (separater Kasten).

Kanton Tessin

Im Tessin erforschen und fördern die Ficedula und BirdLife Schweiz den Steinkauz. Die Steinkäuze besiedeln hier im Gegensatz zur Alpennordseite Rustici und nicht Baumhöhlen. Die Projektverantwortlichen erforschen Nahrung, Jagdreviere und Höhlentypen, und nutzen die Erkenntnisse zum Schutz der Civetta, wie der Steinkauz auf italienisch heisst. Weitere wichtige Massnahmen sind die Sensibilisierung der Landwirte, Baumpflanzungen und gestaffelte Mahd von Wiesen, um dem Steinkauz die Nahrungssuche zu ermöglichen. Der Bestand hat sich vom Minimum von nur 4 Revieren auf 16 Reviere erholt.

 

Grosse Ehre für die BirdLife-Partnerschaft

Die Vereinten Nationen haben das Jahrzehnt von 2011 bis 2020 als Uno-Dekade Biologische Vielfalt ausgerufen. Ziel ist es, den weltweiten Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Ein Schwerpunkt ist die Auszeichnung von vorbildlichen Projekten. Am Freitag, 13. Juni 2014, wurde das Projekt „Grenzüberschreitende Förderung der Streuobstwiesen und ihrer Artenvielfalt", dessen wichtigste Zielart der Steinkauz ist, mit der Auszeichnung „Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt“ belohnt.

Auszug aus der Begründung für die Auszeichnung:

Das Projekt „Grenzüberschreitende Förderung der Streuobstwiesen und ihrer Artenvielfalt", das am 13.06.2014 ausgezeichnet wird, trägt in beispielhafter Weise zur Vermittlung von biologischer Vielfalt bei. Das Engagement der 3 Verbände NABU Südbaden, LPO Alsace und BirdLife Schweiz für die biologische Vielfalt hat die Juroren und Jurorinnen und unser Team in der Geschäftsstelle sehr beeindruckt. Mit der Auszeichnung erhalten die 3 Verbände die Bestätigung, dass sie sich vorbildlich für die biologische Vielfalt [...] einsetzen. Sie setzen ein bedeutendes Zeichen für das Engagement in diesem Bereich und tragen dazu bei, mehr Menschen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu motivieren. Neben einer Urkunde und einem Auszeichnungsschild erhalten die 3 Verbände einen „Vielfalt-Baum“, der symbolisch für die bunte Vielfalt und einzigartige Schönheit der Natur steht, zu deren Erhaltung das Projekt einen wertvollen Beitrag leistet.

 

Grosser Erfolg dank breiter Unterstützung

Da die öffentliche Hand bisher weniger Geld für den Naturschutz zur Verfügung stellt als nötig, springen private Geldgeber, insbesondere Stiftungen, in die Lücke. Mehrere Sponsoren unterstützen die Projekte zugunsten des Steinkauzes bereits seit über 10 Jahren. Im Namen aller Beteiligten bedankt sich der SVS/BirdLife Schweiz herzlich für diese überaus wichtigen Beiträge!

Folgende öffentlichen und privaten Geldgeber unterstützen die Projekte zugunsten des Steinkauzes in der Schweiz:

Abteilung Landschaft & Gewässer des Kantons Aargau, Bernd Thies-Stiftung, Dr. Bertold Suhner-Stiftung, BirdLife Aargau, Bundesamt für Umwelt BAFU, Direction générale de la nature et du paysage du Canton de Genève, Ella und J. Paul Schnorf Stiftung, Erlenmeyer-Stiftung, Ernst Göhner Stiftung, Ficedula, Fondation Alfred et Eugénie Baur, Fondation de bienfaisance Jeanne Lovioz, Fondation Ellis Elliot, Fondation Nature & Decouvertes, Fondation Rita Roux, Fondation Sur-la-Croix, Fondazione Bolle di Magadino, Fonds Landschaft Schweiz FLS, Gemeinde Reinach, Gemeinde Biel-Benken, Gemeinde Plan-les-Ouates, Gemeinde Rodersdorf, Graf Fabrice, von Gundlach & Payne-Smith Stiftung, Groupe Ornithologique du Bassin Genevois GOBG, Hermann & Elisabeth Walder-Bachmann Stiftung, Karl Mayer Stiftung, Kommission für den ökologischen Ausgleich des Kantons Basellandschaft, Margarethe und Rudolf Gsell-Busse-Stiftung, MAVA-Stiftung für Naturschutz, Migros Genossenschaftsbund, Naturschutzverein Ettingen, Natur- und Vogelschutzverein Münsingen, Natur- und Vogelschutzschutzverein Winterthur-Seen, Nos Oiseaux, Office de l’environnement du Canton du Jura, Ornithologische Gesellschaft Basel, Ornithologischer Verein Kerzers, Pro Natura Jura, Pro Natura Genève, Regio Basiliensis, Schweizerische Vogelwarte Sempach, Singenberg-Stiftung, Sophie und Karl Binding Stiftung, Steffen Gysel-Stiftung, Stiftung Temperatio, Stotzer-Kaestli-Stiftung, SVS/BirdLife Schweiz, Theo Wucher-Stiftung, Thommen AG Möhlin, Ufficio natura e paesaggio des Kantons Tessin und Zigerli Hegi Stiftung.

 

BirdLife Schweiz

BirdLife Schweiz hat 65'000 Mitglieder und ist der Dachverband von 18 Kantonalverbänden und 450 lokalen Natur- und Vogelschutzvereinen. Er setzt sich als vielseitiger Naturschutzverband für die Erhaltung und Förderung der Natur ein, insbesondere auch für die Vögel und ihre Lebensräume. Er führt Projekte zum Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume in der Schweiz und weltweit durch. Ebenso engagiert er sich in der Ausbildung und mit seiner Zeitschrift Ornis und den beiden Naturschutzzentren in La Sauge am Neuenburgersee und im Neeracherried im Kanton Zürich in der Motivation einer breiten Bevölkerung für den Naturschutz. Website: www.birdlife.ch

 


Weitere Informationen

Weitere Auskünfte erteilt Ihnen gerne:
Dr. Raffael Ayé, Programmleiter Artenförderung, Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, 076 308 66 84

Sind Sie interessiert, Wissenschafter bei der Beringung junger Steinkäuze zu begleiten und in Ihrem Medium darüber zu berichten? In der Westschweiz besteht hierfür eine Möglichkeit – bitte nehmen Sie mit uns Kontakt auf, beachten Sie aber, dass die Termine aufgrund naturschützerischer Aspekte und des Alters der Jungvögel festgelegt werden müssen und deshalb nicht sehr flexibel sind.

Für die regionalen Projekte stehen folgende Ansprechpartner zur Verfügung:

  • Kanton Genf: Christian Meisser, Groupe Ornithologique du Bassin Genevois: 078 806 00 57
  • Kanton Jura, Collectif Chevêche Ajoie: Nadine Apolloni: 078 835 71 20, Arnaud Brahier: 079 766 52 63
  • Regio Trirhena: Françoise Schmit, BirdLife Schweiz, 078 804 98 67
  • Kanton Tessin: Roberto Lardelli, Ficedula, 079 794 30 64

Tonaufnahmen:

  • Gesang bzw. Balzruf (© Anthony Schubert) MP3-File
  • Gesang bzw. Balzruf (© Bram Piot) MP3-File

   


Pressebilder

Steinkäuze sonnen sich gerne in der Morgen- oder Abendsonne.

Foto: Hans Glader

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Eine abwechslungsreiche, kleinparzellige landwirtschaftliche Nutzung in der Nähe von Bäumen ist für den Steinkauz überlebenswichtig.

Foto: BirdLife Schweiz

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Der Steinkauz bewohnt oft den Obstbaumgürtel rings um die Dörfer, der durch Überbauung vielerorts verloren ging und noch immer verloren geht.

Foto: BirdLife Schweiz

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